"Wir fordern einen Finanz-TÜV"
Mifid II, 34f-Vermittler unter Bafin-Aufsicht und die Zukunft der Lebensversicherer: Ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags klopft FONDS professionell ONLINE die Positionen der Bundestagsparteien ab. Heute bezieht Fabio de Masi von der Partei "Die Linken" Stellung.
Nachdem die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags sechs Monate zurückliegt, hat FONDS professionell die Finanzexperten aller im Deutschen Bundestag vertretenden Parteien in Berlin besucht. Sie haben sich Zeit genommen und zu vielen Fragen der Finanzmarktregulierung, Finanzpolitik und der Altersvorsorge Rede und Antwort gestanden. Die Interviews mit Antje Tillmann, CDU, Lothar Binding, SPD, Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, und Florian Toncar, FDP, sind bereits erschienen. Heute bezieht Fabio de Masi, finanzpolitischer Sprecher der Linken, Stellung.
Herr de Masi, die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II ist seit Jahresbeginn in Kraft. Aus der Branche ist vielfach zu hören, der Gesetzgeber sei an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen. Sehen Sie das auch so?
Fabio de Masi: An einzelnen Punkten ist es in der Tat zu unnötig komplizierten Regelungen gekommen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass man grundlegende Reformen unter Lobbydruck scheut. Teile des heutigen Finanzmarktgeschäfts sind rein auf Spekulation ausgelegt und auch durch umständliche Regeln nicht sicher zu gestalten. Wir fordern daher einen Finanz-TÜV, der Finanzinstrumente vor ihrer Zulassung zum Markt prüft. Die Anbieter müssten dann nachweisen, dass die Instrumente keinen Schaden anrichten, sondern einen volkswirtschaftlichen Nutzen haben.
Durch Mifid II haben sich die Honorar- und Provisionsberatung hinsichtlich der Kostentransparenz weitgehend angeglichen. Ist eine Trennung überhaupt noch notwendig?
De Masi: Eine Trennung ist nach wie vor geboten: Bei den Regelungen zur Offenlegungspflicht von Vertriebsanreizen wie Provisionen werden nicht alle Formen erfasst. Die Regulierung ist aktuell auf Zuwendungen von Dritten – also Provisionen im klassischen Sinne – verengt. Nicht erfasst werden damit zum Beispiel Anreize in Form von hausinternen Vertriebsmargen. De facto besteht damit eine Umgehungsmöglichkeit. Verbraucher haben das Nachsehen, da sie nicht einschätzen können, ob und inwieweit Berater auch Eigeninteressen verfolgen. Ebenso wenig ist dadurch ein Kostenvergleich mit der Honorarberatung gewährleistet. Ohne vollständige Informationen können Märkte aber nicht funktionieren, und Verbraucher bekommen keine realistischen Preissignale.
Sollte die Honorarberatung also noch weiter gestärkt werden?
De Masi: Unbedingt. Es sollte eine klare Grenze zwischen Provisionsverkauf und Honorarberatung geben, wobei Mischmodelle nach einer Übergangszeit untersagt werden sollten. Die wirklich unabhängige Beratung gehört weiter ausgebaut. Für den Vertrieb gilt: Sämtliche Provisionen und sonstige monetäre Anreize müssen konsequent offengelegt werden. Allerdings liegt unser Augenmerk nicht unbedingt auf der Stärkung der Anlageberatung, sondern vielmehr darauf, die Finanzmärkte auf ein sinnvolles Maß zu schrumpfen. Dazu gehört auch, die (teil)privatisierte Altersvorsorge wieder ins Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung zurückzubringen.
Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, Finanzanlagenvermittler unter die Aufsicht der Bafin zu stellen. Dieses Vorhaben hat im Frühjahr für Aufregung in der Branche gesorgt. Wie stehen Sie dazu?
De Masi: Wir wollen eine Abkehr vom zweistufigen Aufsichtssystem und somit eine einheitliche, flächendeckende Aufsicht durch die Bafin, um das Aufsichtsgefälle zu überwinden. Den Gewerbeämtern fehlt es an qualifiziertem Personal und auch an wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeiten.
Bleiben wir bei der Bafin. Sollte die Bonner Behörde auch künftig Finanzprodukte verbieten dürfen oder in dieser Hinsicht vielleicht sogar mit weiteren Kompetenzen ausgestattet werden?
De Masi: Ja, es ist längst überfällig, den gesetzlichen Prüfmaßstab und die Kompetenzen der Bafin entschieden zu erweitern. Die sogenannte Prospektpflicht allein ist zahnlos, unspezifisch und taugt nicht zur Eindämmung von für Anleger gefährlichen Wertpapieren. Dies macht auch der jüngste Anlageskandal um den Containerfinanzierer P&R deutlich. Allein im Jahr 2017 wurden auf der Grundlage von gerade einmal 230 von der Bafin gebilligten Basisprojekten insgesamt 3,49 Millionen unterschiedliche Wertpapiere ohne weitere Begutachtung aufgelegt. Wir fordern die Schaffung einer europaweiten obligatorischen Zulassungsprüfung für Finanzinstrumente und Kapitalanlagen aller Art in Form des bereits erwähnten Finanz-TÜVs.
Wechseln wir das Thema und kommen zu den Lebensversicherern, die bekanntlich mit dem dauerhaften Niedrigzinsniveau enorm zu kämpfen haben: Reicht das bestehende Instrumentarium noch aus, um zu verhindern, dass Unternehmen in eine extreme Schieflage oder gar in die Insolvenz geraten?
De Masi: Die Protektor Lebensversicherungs-AG als freiwillige Auffanggesellschaft verfügt nicht über ausreichende Mittel, um den Sturz eines großen Players oder mehrerer mittelständischer Unternehmen und mögliche Kettenreaktionen aufzufangen. Deswegen laufen Verbraucher Gefahr, Geld zu verlieren. Sinnvoll erscheint daher eine laufende Gebührenzahlung, da ein insolventes Versicherungsunternehmen als Schadensverursacher selbst keinerlei Beiträge zur Insolvenzsicherung geleistet hätte. Ferner könnte die Möglichkeit der Erhebung von Sonderbeiträgen dazu beitragen, situativ auf die Marktentwicklung zu reagieren und eine Unterkapitalisierung des Fonds zu verhindern.
Wie bewerten Sie die Einführung einer digitalen säulenübergreifenden Rentenübersicht und wann ist mit Umsetzung dieses Projektes zu rechnen?
De Masi: Sofern es beim gegenwärtigen System bliebe, brauchen wir diese Übersicht dringend. Gegenwärtig weiß kaum jemand, wie viel Geld er im Alter tatsächlich zu erwarten hat. Mindestanforderungen müssen aber sein: keine beschönigende Darstellung, zum Beispiel bei der Riester-Rente. Die Bundesregierung rechnet in ihren Rentenversicherungsberichten gegen jede Empirie immer noch mit maximal zehn Prozent Abschlusskosten und abstrus hohen Renditen. Die Zahlen müssen realistisch sein. Da wir eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung anstreben, die erheblich sicherer und nachhaltiger ist als Riester und andere private Rentenversicherungsmodelle, erübrigt sich das Problem im Wesentlichen. Aber auch die Standmeldungen der Rentenversicherung können natürlich noch deutlich verständlicher gemacht werden.
Schauen wir über die bundesdeutschen Grenzen hinaus und blicken nach Europa. Wie sehen Sie die Situation in Italien?
De Masi: Die Situation in Italien ist hochprekär. Das Land hat durch die Kombination aus chronischen Exportüberschüssen Deutschlands und sinnloser Kürzungspolitik in den letzten 20 Jahren 20 Prozent seiner industriellen Basis eingebüßt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist enorm und das Land verliert eine ganze Generation. Es bräuchte dringend massive Investitionen in den Strukturwandel, aber die starren Defizitkriterien der EU, die ohnehin keinen sinnvollen Beitrag zum Abbau der Staatsschulden leisten, verhindern dies. Italiens Haushalt ist dabei überhaupt nicht das Problem. Das Land erwirtschaftet seit 20 Jahren teils signifikante Primärüberschüsse, ächzt aber unter der Zinslast von Altschulden aus den 1980er-Jahren. Diese sind zum Teil allein aufgrund der exorbitanten Zinssätze entstanden, die durch die Konvergenzkriterien des Europäischen Währungssystems erzwungen wurden. Heute leidet Italien unter einer Wachstumsschwäche aufgrund fehlender Investitionen sowie der tiefen Nachfragelücke, nicht aber unter mangelnder Solidität der öffentlichen Finanzen.
Und welcher Zukunft geht der Euro entgegen?
De Masi: Die Eurokrise ist hausgemacht. Wir haben eine Währungsunion, die dauerhaft nicht funktionieren kann, wenn Länder wie Deutschland ein unzureichendes Lohnwachstum und zu wenig öffentliche Investitionen aufweisen. Wenn Deutschland hier nicht umsteuert, zerbricht der Euro. Auch global sind die Leistungsbilanzüberschüsse zunehmend ein Problem, wie der Handelskrieg mit den USA zeigt. Die akute Krise entstand aus den Folgen der Finanzkrise und der Bankenrettungen, allein deshalb müssen diese durch ein echtes Trennbankensystem in Zukunft verhindert werden. Wirtschaftspolitisch müssen wir für Europa kurzfristig zurück zur Goldenen Investitionsregel und mittelfristig zu einem großangelegten New Deal für Südeuropa.
Ganz zum Schluss: Was sind Ihre wichtigsten Ziele und Projekte in dieser Legislaturperiode
De Masi: Im Finanzausschuss des Bundestages setze ich mich neben der Finanzmarktpolitik für Steuergerechtigkeit und den Kampf gegen Geldwäsche ein. Allgemein streite ich für eine gerechtere Gesellschaft, für die Menschen, die hart für sich und ihre Familien arbeiten. Das ist kein Ziel für eine Legislaturperiode. Aber es gibt ja gesellschaftliche Mehrheiten für einen stabilen und sicheren Sozialstaat, ein gerechtes Steuersystem, Finanzmärkte, die der Realwirtschaft und den Menschen nutzen sowie eine friedliche Außenpolitik. Das sind alles auch Kernanliegen meiner Partei. Wir müssen daher versuchen, diese breiten gesellschaftlichen Mehrheiten für fortschrittliche Politik endlich zu mobilisieren. Daran will ich in dieser Legislaturperiode arbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch. (am)
Einen ausführlichen Bericht zu den Positionen der Parteien in wichtigen Fragen der Regulierung, der Finanzpolitik und der Lebensversicherung lesen Sie in der Heftausgabe 3/2018 von FONDS professionell, die Abonnenten in diesen Tagen zugestellt wird.