Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), hat erneut eine Reform der Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union gefordert. Sie sprach sich dafür aus, künftig mehr Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit statt einstimmig zu treffen, um die Handlungsfähigkeit der EU zu verbessern.

"Selbst wenn wir uns darüber einig sind, was getan werden muss, hindert uns unser Ordnungsrahmen oft daran, entschlossen genug zu handeln", sagte Lagarde am Mittwoch (29.10.) in Florenz. "Er ist zu langsam, zu komplex und zu sehr von einzelnen Mitgliedstaaten abhängig geworden, die ihr Veto einlegen können."

Mehrheitsentscheidungen statt Vetopolitik
Am Vorabend der geldpolitischen Entscheidung der Europäischen Zentralbank, bei der Beobachter erwarten, dass die Zinsen zum dritten Mal in Folge unverändert bleiben, betonte Lagarde, dass die Lösung "keine revolutionären Veränderungen" erfordere.

"Wir können die Möglichkeiten innerhalb der Verträge – wie beispielsweise die Passerelle-Klauseln – nutzen, um mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit statt einstimmig zu treffen, wenn gemeinsames Handeln in unserem gemeinsamen Interesse liegt", erklärte sie und wiederholte damit frühere Äußerungen.

Orbán und die Blockadepolitik
Einzelstaatliche Vetorechte gelten in der EU seit Langem als Problem. Insbesondere Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat mehrfach sein Veto eingelegt – vor allem seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Dies hat es der EU erschwert, weltweit geschlossen aufzutreten.

Lagarde, frühere französische Finanzministerin und IWF-Chefin, sieht die aktuelle Phase globaler Unsicherheit als Chance, größere Handlungsautonomie für die EU zu etablieren. 

"Europa ist widerstandsfähig, aber auch verwundbar"
In ihrer Rede schlug sie auch einen Ansatz vor, "bei dem gemeinsame europäische Regeln gelten, ohne auf eine vollständige Konvergenz der nationalen Systeme zu warten".

"Wir können die Zusammenarbeit zwischen Gruppen von Ländern vertiefen, die bereit sind, schneller voranzukommen – nicht als exklusive Clubs, sondern als Pioniere, deren Fortschritte letztendlich das Ganze stärken", sagte sie. "Europa ist widerstandsfähig, aber auch verwundbar."

Panetta stimmt zu
Lagarde sprach nach dem italienischen Zentralbankgouverneur Fabio Panetta, der das EZB-Treffen in Florenz ausrichtet und ihre Position unterstützt.

"Die Lehre für Europa ist heute klar: Um sein wirtschaftliches Gewicht zu behalten und global relevant zu sein, muss es institutionelle Starrheit überwinden, in Innovation investieren und den Binnenmarkt vollenden", sagte Panetta. (mb/Bloomberg)