Barrierefreiheit: Das kommt auf die Finanzbranche zu
Am 28. Juni tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft. Es soll Menschen mit Einschränkungen das Leben erleichtern. Da die Vorgaben komplex sind und die Umsetzung aufwendig sein kann, sollten sich Finanzdienstleister jetzt vorbereiten.
Lange dauert es nicht mehr: Noch gut drei Monate, dann soll ein neues Gesetz Menschen mit Behinderungen, mit dauerhaften oder vorübergehenden Einschränkungen das Leben deutlich erleichtern. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) tritt am 28. Juni 2025 in Kraft. Von da an müssen Unternehmen dafür Sorge tragen, dass die von ihnen angebotenen Produkte und Dienstleistungen jedem Verbraucher zugänglich sind, ohne dass dafür Barrieren irgendeiner Art überwunden werden müssen.
Die Idee hinter dem BFSG ist gut. Doch das Regelwerk bringt für Banken, Versicherer, Vermögensverwalter sowie für viele Finanzberater und Versicherungsmakler einen zum Teil hohen technischen und finanziellen Aufwand mit sich. Und wer ab Juli den neuen Vorschriften nicht nachkommt, dem drohen im schlimmsten Fall eine abgeschaltete Website und ein saftiges Bußgeld.
Vermittler nicht aus dem Schneider
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz setzt die europäische Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen in deutsches Recht um. Für welche Dienstleister das Regelwerk Wirkung entfaltet, regelt Paragraf 1 Absatz 3 BSFG. Dort sind Bankdienstleistungen aufgeführt, Finanzdienstleistungen hingegen nicht. Das bedeutet allerdings nicht, dass Versicherer, Vermögensverwalter, Finanzberater und Versicherungsvermittler damit aus dem Schneider sind.
"Das BFSG betrifft nicht nur bestimmte Bankdienstleistungen im herkömmlichen Sprachgebrauch, sondern umfasst im weiteren Sinne auch andere Finanzdienstleistungen für Verbraucher", erklärt Jan-Henrik Ellinghaus, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Taylor Wessing in München. "Eine Bank- oder Finanzdienstleistung schließt nach diesem Verständnis auch Vermittlungstätigkeiten mit ein", sagt Ellinghaus.
Ausnahme für Kleinstunternehmen
Allerdings sieht das BFSG eine Ausnahme vor: Kleinstunternehmen, die weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigen und gleichzeitig entweder einen Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro erzielen oder eine Jahresbilanzsumme von maximal zwei Millionen Euro verzeichnen, sind vom Gesetz ausgenommen.
Finanzdienstleister, die die Vorschriften des Regelwerks ab Ende Juni erfüllen müssen, haben nun viel zu tun. "Die Anforderungen an die Gestaltung einer barrierefreien Webseite nach Maßgabe des BFSG sind breit gefächert und komplex", sagt Jurist Ellinghaus. Die EU-Richtlinie und das deutsche Gesetz fußen unter anderem auf den internationalen Richtlinien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Aus Hunderten Vorgaben haben sich vier Hauptkriterien herausgebildet, die eine barrierefreie Webseite erfüllen muss: Sie muss wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein.
Das Zwei-Kanal-Prinzip
"Für die Wahrnehmbarkeit einer Webseite kommt es darauf an, dass der Inhalt jedem Nutzer zugänglich ist", erklärt Ellinghaus. Zentral ist hier das Zwei-Kanal-Prinzip. So haben Finanzdienstleister etwa Sorge dafür zu tragen, dass visueller Content wie Text, Bilder oder Grafiken mithilfe eines Screenreaders auch akustisch wahrzunehmen ist. Die Bedienbarkeit einer Webseite setzt voraus, dass alle Interaktionen auch für Nutzer mit motorischen Einschränkungen möglich sein müssen.
Verständlich ist eine Webseite, wenn Informationen klar und nachvollziehbar sind. Gerade für Finanzdienstleister ist es daher wichtig, eine einfache, prägnante Sprache zu wählen, Fachwörter und komplizierte Formulierungen wegzulassen oder zu erläutern. "Robustheit bedeutet, dass eine Website mit verschiedenen Geräten und Technologien kompatibel sein muss", sagt Ellinghaus.
Behördliche Überwachung
Ob Wirtschaftsakteure die neuen Pflichten auch einhalten, kontrollieren künftig die Marktüberwachungsbehörden der Bundesländer. Hat eine Behörde Grund zur Annahme, dass eine Dienstleistung die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllt, prüft sie zunächst, ob dies tatsächlich der Fall ist. Kommt sie zu dem Schluss, dass die Annahme richtig war, fordert sie das betreffende Unternehmen maximal zwei Mal auf, das Problem zu beseitigen. Geschieht dies nicht, kann die Marktaufsichtsbehörde Maßnahmen ergreifen, die bis zur Abschaltung einer Website reichen. Zudem kann sie Pflichtverstöße mit Bußgeldern von bis zu 100.000 Euro ahnden. (am)
Einen ausführlichen Bericht über das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz lesen Sie in der neuen Heftausgabe 1/2025 von FONDS professionell, die Ende März erschient.