"Europa darf nicht zum Spielball für die USA und China werden"
Amerika zieht sich aus seiner Rolle als Weltordnungsmacht zurück, während China sich in Stellung bringt. Die EU muss mit aller Kraft auf moderne Technologien setzen, um im Wettbewerb bestehen zu können, fordert der CDU-Politiker Friedrich Merz auf dem FONDS professionell KONGRESS in Mannheim.
In einer Zeit, da politische und wirtschaftliche Machtverhältnisse weltweit neu geordnet werden, muss sich Europa aktiv positionieren. Die Europäische Union (EU) müsse ihren Zustand der "routinierten Ratlosigkeit" verlassen und sich ökonomisch auf moderne Technologien und Industrien konzentrieren. Andernfalls werde die Staatengemeinschaft zum Spielball zwischen den USA und China. Diese Auffassung vertrat der CDU-Politiker Friedrich Merz in seinem Vortrag beim FONDS professionell KONGRESS in Mannheim. Er sprach auf Einladung des weltweit größten Fondsanbieters Blackrock, bei dessen Deutschland-Tochter er dem Aufsichtsrat vorsitzt.
In den USA sieht Merz auch nach einer zweiten Amtszeit von Präsident Donald Trump, die er für sehr wahrscheinlich hält, keine Schritte hin zu politischer und wirtschaftlicher Kooperation auf internationaler Ebene, zu Offenheit und neuen multilateralen Verträgen.
Republikaner werden US-Senat dominieren
Merz verweist auf Studien, denen zufolge bis zum Jahr 2040 rund 50 Prozent der Amerikaner in acht wirtschaftlich florierenden Bundesstaaten leben werden. Dies werde sich im Repräsentantenhaus widerspiegeln, da die Sitze dort alle zwei Jahre gemäß der Verteilung der Bevölkerung auf die Bundesstaaten neu besetzt werden. Im Senat jedoch, wo jeder Bundesstaat mit zwei Senatoren vertreten ist, werde sich diese Entwicklung nicht zeigen. Dort würden die demokratischen Kräfte, die bis 2040 verstärkt in den acht Metropol-Regionen angesiedelt sein werden, auf die Dauer einer strukturellen Mehrheit der Republikaner weichen müssen.
"Das Repräsentantenhaus und der Senat werden damit immer unterschiedlicher, was massive Auswirkungen auf das gesamte politische Binnenklima haben wird", sagt Merz. Die Konflikte in der amerikanischen Gesellschaft würden sich in der US-Politik widerspiegeln. Es sei daher stark davon auszugehen, dass Amerika immer mehr auf sich selbst reflektieren werde, statt internationale Verpflichtungen zu übernehmen.
Imperiale Ermüdung
Aufgrund einer zunehmenden "imperialen Ermüdung" werden sich die USA in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts aus ihrer bisherigen Rolle als Weltordnungsmacht zurückziehen, so Merz' Prognose. Europa verliere damit einen ehemals starken politischen Partner, während sich China mit dem Projekt "Neue Seidenstraße" ökonomisch und politisch in Stellung bringe.
"Die alte Nachkriegsordnung des 20. Jahrhunderts funktioniert im 21. Jahrhundert nicht mehr", konstatiert Merz. Aus ökonomischer Sicht werde dies nicht zuletzt durch das G7-Treffen vom August 2019 deutlich. "Beim ersten G6-Gipfel, das im September 1976 stattfand, repräsentierten die anwesenden Staats- und Regierungschefs die Länder, die zusammen zwei Drittel der Weltwirtschaftsleistung ausmachten", erinnert Merz. "Auf dem G7-Treffen 2019 standen die versammelten Spitzenpolitiker nur noch für gut ein Drittel der weltweiten Wirtschaftskraft."
Künftig lautet die Frage: G2 oder G3?
Für das 21. Jahrhundert sei dieses Format vollkommen überholt, die Frage für 2020 und die Zukunft laute nicht: G7, G8 oder G20? "Die entscheidende Frage wird sein: G2 oder G3?", erklärt der CDU-Politiker. "Es geht darum, ob es die USA und China sein werden, die das Weltgeschehen im 21. Jahrhundert weiter bestimmen, oder ob auch Europa dabei sein wird."
Wenn die EU nicht willens und in der Lage sei, sich auf moderne Technologien und Industierzweige zu fokussieren, werde die Staatengemeinschaft zum Spielball zwischen den Interessen der USA und Chinas. "Dies zeigt exemplarisch die in Deutschland und Europa kontrovers geführte Diskussion darüber, ob wir den chinesischen Anbieter der G5-Technologie Huawei in unsere Netze lassen wollen", so Merz.
Keine souveräne Entscheidung
Die Tatsache, dass 96 Prozent aller in Europa über PCs, Smartphones und Tablets genutzten Daten auf US-amerikanischen und chinesischen Rechnern liegen, mache deutlich, dass Europa in "der zentralen technologischen Frage des 21. Jahrhunderts", gar nicht souverän entscheiden könne.
"Wir werden wahrscheinlich gar nicht darum herumkommen, zumindest Teile in der Ausrüstung von Huawei zu nutzen", sagt Merz. Gleichzeitig müsse die EU aber alle Anstrengungen unternehmen, um die Souveränität zurückzugewinnen, selbst zu entscheiden, welche technische Ausrüstung verwendet werden soll. "Daher brauchen wir in Europa große Unternehmen, die in der Lage sind, diese technologische Herausforderung anzunehmen und mitzuhalten im Wettbewerb des 21. Jahrhunderts."
EU muss ökonomisch und politisch Kräfte bündeln
Die Europäische Union habe einen langen Weg zu gehen, um den Abstand zu den USA und China in Sachen Technologie und digitale Infrastruktur aufzuholen, meint Merz. Dafür müsse Europa den Zustand "routinierter Ratlosigkeit" verlassen. "Europa muss ökonomisch und politisch Kräfte bündeln, bereit sein, sich auf die Technologien und Industrien zu konzentrieren, die lebenswichtig sind, um im globalen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts zu bestehen", fordert Merz. Deutschland müsse dabei eine führende Rolle spielen. (am)