Ex-EU-Kommissionschef Juncker: "Russland ist ein Riesenzwerg"
Europa soll seinen Einfluss nicht unterschätzen, mahnte der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Eröffnungsrede des 20. FONDS professionell KONGRESSES in Mannheim. Angesichts der vielen Bedrohungen für die Staatengemeinschaft forderte er mehr Einigkeit.
Für die Europäische Union gibt es keine Gründe, sich in einer wirtschaftlich schwächeren Position gegenüber Russland zu wähnen, als es der Fall ist. Dies sagte der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Eröffnung des 20. FONDS professionell KONGRESSES in Mannheim auf Einladung von Amundi. "Russland ist ein Riesenzwerg, wenn es um wirtschaftlichen Einfluss geht", so Juncker in seiner Rede. Zwar sei Russland flächenmäßig größer, das Gewicht seiner Volkswirtschaft im weltweiten Rahmen aber gering, betonte der frühere Luxemburger Premierminister.
Dabei mahnte Juncker, der von 2014 bis 2019 die EU-Kommission lenkte, die Staatengemeinschaft zu einer engeren, gemeinsamen Verteidigungspolitik. "Ein Hühnerhaufen bildet eine geschlossenere Kampfformation als Europas Armeen", diagnostizierte Juncker in seinem launigen Vortrag. "Wir sind nicht glaubwürdig in unserer militärischen Dimension." Mit der deutschen Bundeswehr etwa könne man keinen Luftkrieg gewinnen. Zwar verfüge seine Heimat Luxemburg lediglich über einen Militär-Hubschrauber, "doch der fliegt wenigstens", scherzte der Ex-Premier des Großherzogtums.
Keil zwischen Mitgliedsländer
Juncker plädierte für eine einheitliche Beschaffung von Waffensystemen für die Staatengemeinschaft. "Es gibt mehr Kampfflugzeughersteller als Mitgliedsstaaten in Europa", so Juncker in Mannheim. Eine einheitliche Beschaffung von Waffensystemen schaffe eine einheitliche, schlagkräftigere Truppe und könne zudem die Haushalte der Mitgliedsländer um 100 Milliarden Euro pro Jahr entlasten. "Wir müssen in Verteidigungsfragen zusammenarbeiten und unsere Kräfte bündeln", resümierte der ehemalige EU-Kommissionschef.
Wie wichtig ein Zusammenhalt unter den Mitgliedsstaaten ist, habe sich auch gegenüber dem früheren US-Präsidenten Donald Trump gezeigt. Im Zuge des aufkeimenden Handelsstreits zwischen den USA und Europa habe er eine Abkühlung des Konflikts versucht – und dabei mit Trump Tacheles geredet, berichtete Juncker. "Ich habe Trump gesagt, er soll aufhören einen Keil zwischen die EU-Mitgliedsländer zu treiben", erzählte Juncker in seiner Rede.
Auf dem absteigenden Ast
Letztendlich habe der US-Präsident damals eingelenkt. "Es ist wichtig, mit einer Stimme zu sprechen und gemeinsam aufzutreten. Dann entfalten wir eine Wirkung", betonte Juncker. Daneben verwies Juncker aber auch auf die Bedeutung von Freihandelsabkommen, die die EU infolge der "America-First"-Politik der USA mit Japan oder Kanada geschlossen habe. "Freihandelsabkommen sind wichtig, auch wenn sie nicht beliebt sind", so der ehemalige Spitzenpolitiker. Viele Arbeitsplätze in der EU seien jedoch vom Außenhandel abhängig.
Zugleich mahnte Juncker aber, dass die europäische Staatengemeinschaft im Begriff sei, ihre Position in der globalen Wirtschaft einzubüßen. "Wir sind die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, doch im Vergleich zu anderen werden wir schwächer", beobachtete der Politiker. "Auch demographisch sind wir auf dem absteigenden Ast." Demgegenüber richtete Juncker seinen Blick auf China. Die Volksrepublik sei zum Handelspartner, Wettbewerber sowie zum wirtschaftlichen wie systemischen Rivalen herangewachsen.
Naiver Umgang mit China
Die Europäer hätten über die vergangenen zwei Jahrzehnte aber einen zu naiven Umgang mit China gepflegt. "Chinesische Staatsunternehmen erhielten freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt", kritisierte Juncker. "Europäische Firmen dagegen stoßen im chinesischen Binnenmarkt aber auf Hürden." Daher sei es wichtig gewesen, das Vordringen Chinas in die europäische Wirtschaft zu bremsen. "Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, dass China unseren Binnenmarkt erobert", mahnte der ehemalige Eurogruppenchef.
Angesichts der anhaltend hohen Inflation warnte Juncker, der von 1989 bis 2009 auch Luxemburgs Finanzminister war, vor den Folgen der hohen Staatsverschuldung einiger europäischer Länder und forderte eine Rückkehr zur Haushaltsdisziplin. "Ich habe volles Verständnis dafür, dass die Länder angesichts der Folgen von Corona-Krise und Ukraine-Krieg ihre Haushalte aufstockten", sagte Juncker in Mannheim. Doch es sei ein "Irrglaube, dass die Lust der Regierungen auf unbegrenzte Schuldenaufnahme keine Konsequenzen" habe. "Wir müssen darauf achten, dass das Haus wieder in Ordnung gebracht wird", forderte Juncker. (ert)