Starökonom Jürgen Stark: EZB hat ihr Mandat überdehnt
Europas Notenbank will ihre Geldpolitik nachhaltiger machen. Deren Ex-Chefökonom hält das für einen Fehler. Auf dem 19. FONDS professionell KONGRESS erklärte er, welche Rolle die Währungshüter in der veränderten Welt einnehmen sollten – und welche nicht.
Grün liegt im Trend, auch in der Geldpolitik. Auf ihrer ersten Sitzung als Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) machte Christine Lagarde den Klimaschutz zum Kernthema. Die EZB soll grüner werden, in Zukunft will die Notenbank den Klimawandel stärker in ihrer Arbeit berücksichtigen. Jürgen Stark war von 2006 bis 2012 Chefvolkswirt der EZB und hält Lagardes ehrgeizige Pläne für einen Fehler. "Der Klimaschutz ist Regierungssache", sagte Stark auf Einladung von Amundi auf dem 19. FONDS professionell KONGRESS in Mannheim. Bei der Geldpolitik sei der Grundsatz der Marktneutralität zu beachten, daher "muss sie farblos sein", ist der Ökonom überzeugt.
Nach dem Vertrag von Maastricht ist die EZB zur Unabhängigkeit verpflichtet. Sie darf in Krisen intervenieren, um die Konjunktur anzukurbeln – und muss sich ansonsten moderat verhalten. Seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich die Rolle der obersten Währungshüter allerdings von Grund auf gewandelt, erklärte der Ökonom. Die Zentralbanken hätten ihr Mandat eigenmächtig erweitert und dadurch an Macht und Einfluss gewonnen.
Längst stehe nicht mehr nur die Preisstabilität im Zentrum, sondern auch Politisches. "Die Zentralbanken haben viele Veränderungen mitgeprägt oder erst ausgelöst", sagte Stark. Durch den exzessiven Kauf von Staats- und Unternehmenspapieren hätten sie die Marktteilnehmer ins Risiko getrieben und sich damit selbst in ein Dilemma manövriert: "Auf der einen Seite wollen sie die Konjunktur stimulieren. Auf der anderen Seiten sind sie aber auch die Aufseher der Banken und müssen als solche darauf achten, dass diese nicht zu viele Risiken eingehen."
Inflation darf nicht das Ziel sein
Die Ambitionen der EZB in Sachen Klimaschutz sind für Stark ein Indiz, dass die Notenbank ihr Mandat künftig noch weiter zugunsten politischer Ziele ausweiten könnte. Besonders kritisch sieht er die Tatsache, dass Lagarde Parlamentarier und Vertreter der Zivilgesellschaft dazu aufgerufen hat, aktiv ihre Ideen einzubringen, wie die EZB die Geldpolitik künftig gestalten soll. "Nach den Statuten der EZB darf die Notenbank von der Politik keinen Rat einholen", sagte er.
In einem anderen Punkt aber ist Stark ganz auf EZB-Linie: Im Jahr 2014 definierte die Zentralbank die Marke von 1,9 Prozent Inflation als Idealmaß. Dieses Dogma will Lagarde ebenfalls auf den Prüfstand stellen – zurecht, findet Stark. "Das Punktziel suggeriert eine Genauigkeit, die nicht erreicht werden kann", sagte der Ökonom in Mannheim. Die EZB müsse sich von dem Gedanken verabschieden, alles bis ins letzte Detail steuern zu können. Schlicht eine andere Zahl als Zielmarke für die Teuerungsrate im Euroraum zu bestimmen, sei dennoch irreführend, sagte Stark. Stattdessen sollte sich die EZB darauf konzentrieren, die strukturelle Deflation zu stoppen, ohne dabei in Aktionismus zu verfallen. "Inflation darf nie das Ziel sein", sagte der Volkswirt.
Im Anschluss sehen Sie das von uns geführte Interview mit Jürgen Stark.(fp)