"Wir investieren in Fakten, nicht in Fiktion"
Seit Anfang vergangenen Jahres arbeitet Thorsten Winkelmann, der einst milliardenschwere Mandate für Allianz Global Investors verwaltete, für Alliance Bernstein. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE verrät der Manager, wie er sich eingelebt hat – und warum er nie in Tesla investieren würde.
Wirklich umstellen musste sich Thorsten Winkelmann für den neuen Job nicht: Als er im Januar 2024 seine Arbeit bei Alliance Bernstein (AB) aufnahm, musste er nur aufpassen, auf der richtigen Seite der Bockenheimer Landstraße in Frankfurt abzubiegen – die Niederlassung seines neuen Arbeitgebers liegt genau gegenüber der Zentrale des Fondsanbieters Allianz Global Investors (AGI), für den er zuvor mehr als zwei Jahrzehnte lang gearbeitet hatte. An der bewährten Anlagestrategie änderte Winkelmann nichts, und auch die Kollegen, mit denen er am meisten zu tun hat, sind die gleichen – sie folgten ihm zu AB. FONDS professionell ONLINE traf den bekannten Portfoliomanager in seinem neuen Büro zum Interview.
Herr Winkelmann, mittlerweile ist es gut ein Jahr her, dass Sie und vier Kollegen von Allianz Global Investors zu Alliance Bernstein gewechselt sind. Haben Sie sich gut eingelebt?
Thorsten Winkelmann: Oh ja, und das ging sehr schnell. Es gefällt uns sehr gut hier, wir können gewissermaßen wieder wie ein eigenes Unternehmen im Unternehmen agieren – mit unseren eigenen Prozessen und den eigenen Kunden, ohne dass ein Konzern uns groß reinreden würde. AB ist so organisiert, dass die einzelnen Investmentteams zwar auf einer gemeinsamen Plattform, aber sehr autark arbeiten. Es gibt keinen Chefanlagestrategen, der die Richtung vorgibt. Meine Kollegen und ich sind sehr wissenshungrig. Wir finden, dass wir den tollsten Job haben, den man sich vorstellen kann: Wir lieben es, uns jeden Tag mit verschiedenen Unternehmen und Geschäftsmodellen zu beschäftigen und stetig hinzuzulernen. AB gibt uns diese Freiheit.
Klingt da Frust über die letzten Jahre bei Allianz Global Investors durch?
Winkelmann: Nein, so möchte ich das nicht verstanden wissen. Ich verdanke AGI beruflich alles und würde daher nichts Schlechtes über das Unternehmen sagen. Ich wollte auch nicht zwingend weg. Wenn AB nicht von sich aus auf mich zugekommen wäre, würde ich heute wahrscheinlich noch für AGI arbeiten. Allerdings ist es schon so, dass sich das Umfeld in den letzten Jahren verändert hatte. Wir fühlten uns stärker kontrolliert und eingeengt als früher, unter anderem mit Blick auf Reportingpflichten.
Was allerdings verständlich ist. Einerseits hat die Regulierung zugenommen, andererseits musste AGI sicherstellen, dass sich ein Fall wie der Structured-Alpha-Skandal nicht wiederholt.
Winkelmann: Wie dem auch sei: Für unser Team – für andere kann ich nicht sprechen – ist AB meiner Meinung nach heute die bessere Adresse. Das gilt nicht nur für die erwähnten kulturellen Aspekte, sondern auch mit Blick auf die Geschäftschancen. AB und unser Team ergänzen sich beispielsweise hervorragend, was die regionale Ausrichtung angeht. Seitdem ich 2009 das Growth-Team übernommen habe, haben wir uns mit unserer Investmentstrategie und den Anlageerfolgen in Europa sicherlich einen guten Namen gemacht. In den USA dagegen kennen uns nur wenige. AB wiederum ist natürlich im Heimatmarkt USA sehr stark aufgestellt und hat in Europa noch Potenzial. Wir können helfen, das zu heben. Im Gegenzug spüren wir bei AB einen großen Rückhalt für unseren Ansatz. Unsere Investmentphilosophie geht langfristig auf, kurzfristig kann es aber auch mal deutlich gegen uns laufen.
So wie 2022.
Winkelmann: Genau. Nachdem Russland in die Ukraine einmarschierte, waren plötzlich Öl-, Gas- und Rüstungsaktien gefragt…
… und Ihre Wachstumswerte, in die Sie investiert hatten, verloren deutlich an Wert.
Winkelmann: Dabei ist wichtig zu verstehen, dass deren Geschäft unverändert gut weiterlief. Ihre Aktien waren vielen Anlegern nur zu teuer geworden, vor allem vor dem Hintergrund der gestiegenen Zinsen. Deshalb ist es uns wichtig, eine enge Bindung zu unseren Kunden zu pflegen. Sie müssen nachvollziehen können, wie wir ihr Geld investieren – und dass wir nicht von heute auf morgen anfangen würden, in Ölkonzerne oder Waffenhersteller zu investieren, nur weil diese gerade angesagt sind.
Wie würden Sie Ihren Investmentansatz umschreiben?
Winkelmann: Wir wissen nicht, was morgen passiert, und möchten auch kein Urteil darüber fällen müssen, was Donald Trumps zweite Amtszeit oder das Ergebnis der Bundestagswahl in Deutschland für die Börsen bedeutet. Wir suchen daher Unternehmen, die in strukturellen Wachstumsmärkten und daher relativ unabhängig von politischen oder makroökonomischen Einflussfaktoren agieren, die also gewissermaßen ihres eigenen Glückes Schmied sind. Deren Quartalsergebnisse können mal schwanken und unterliegen natürlich auch konjunkturellen Einflüssen, aber der langfristige Trend weist nach oben. Ein gutes Beispiel ist ASML: Dieser Titel ist schon seit 2006 in unserem Portfolio.
Gibt es Kennzahlen, auf die Sie besonders achten?
Winkelmann: Das Unternehmen muss es schaffen, eine überdurchschnittlich hohe Kapitalrendite über die nächsten Jahre zu verteidigen oder sogar zu steigern. Der Return on Investment muss deutlich über den Kapitalkosten liegen, und der Cashflow soll ins Geschäft reinvestiert werden – ich möchte keine Dividende sehen. Ein Unternehmen, dem das gelingt, profitiert enorm vom Zinseszinseffekt, der wohl stärksten Kraft am Kapitalmarkt. Zur Erinnerung: Bei einer annualisierten Rendite von 15 Prozent verdoppelt sich das eingesetzte Kapital binnen fünf Jahren.
Ihr Team managt das AB European Growth Portfolio, das inzwischen rund 110 Millionen Euro verwaltet, und das AB Global Growth Portfolio, das aber nur auf rund vier Millionen Euro kommt. Zufrieden?
Winkelmann: Dass der globale Fonds deutlich kleiner ist, verwundert mich nicht. Schließlich kannte man uns vor allem wegen unserer europäischen Strategie. Insgesamt verantwortet mein Team mittlerweile rund 700 Millionen US-Dollar. Neben den beiden genannten Fonds, die in Luxemburg aufgelegt wurden, handelt es sich um einen britischen Publikumsfonds, der eine Ex-UK-Strategie verfolgt, und zwei große institutionelle Mandate. Dafür, dass wir erst vor gut einem Jahr an Bord kamen, können wir mit dem Zuspruch der Investoren denke ich wirklich zufrieden sein. AB macht uns übrigens keine Vorgaben, welche Summen wir bis zu einem bestimmten Stichtag eingesammelt haben sollen.
Sind die meisten Kunden Ihnen von Allianz Global Investors zu AB gefolgt?
Winkelmann: Interessanterweise nicht. Unter den ersten Investoren waren Family Offices und Fondsselektoren, die uns schon eine ganze Zeit beobachtet, aber noch kein Geld angelegt hatten. Als Hindernis entpuppt sich in diesem Fall unter anderem unsere Anlagestrategie. Eben weil wir so langfristig investieren, schichten wir das Portfolio eher selten um. Die Fonds, die wir bei Allianz Global Investors betreut hatten, sind daher heute noch ähnlich aufgestellt wie unsere aktuellen Portfolios. Viele unserer früheren Kunden sehen daher noch keinen Anlass, zu handeln. Das wird sich erst über die Zeit ändern. Hinzu kommt, dass viele professionelle Investoren die Vorgabe haben, höchstens einen gewissen Prozentsatz des Fondsvolumens zu halten. Mit 100 Millionen Euro haben wir erst kürzlich die Schwelle überschritten, die unseren Europa-Fonds auch für größere Adressen interessant macht.
Noch mal zurück zu Ihrem global investierenden Fonds: Sie hatten zwar schon bei Allianz Global Investors eine entsprechende Strategie betreut, Ihr Steckenpferd sind aber eindeutig europäische Aktien. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, sich bei AB anfangs darauf zu konzentrieren?
Winkelmann: Für uns ist es sehr reizvoll, weltweit investieren zu können – das vergrößert einfach die Auswahl an spannenden Unternehmen. Viele Anleger denken ähnlich. Klar ist aus den erwähnten Gründen aber auch, dass es bei diesem Fonds deutlich länger dauern wird, ein großes Volumen aufzubauen.
Von den "Glorreichen Sieben" – den US-Giganten, die seit einiger Zeit das Geschehen an den Weltbörsen dominieren – finden sich nur einige in Ihrem Portfolio. Warum?
Winkelmann: Amazon und Microsoft gehören zu unseren Toppositionen. Auch Nvidia ist unter den zehn größten Titeln zu finden, aber nicht ganz oben, weil wir andere Titel noch interessanter finden. In Tesla dagegen haben wir noch nie investiert. Bei diesem Unternehmen lässt sich die Geschäftsentwicklung unserer Meinung nach nicht seriös prognostizieren. Vielleicht verdoppelt die Firma ihren Cashflow auf Sicht von fünf Jahren, es kann aber auch passieren, dass sie dann am Abgrund steht. In ein solches Unternehmen kann ich nicht guten Gewissens das Geld anderer Leute stecken. Wir investieren in Fakten, nicht in Fiktion.
Das chinesische Unternehmen Deepseek hatte mit seinem KI-Modell vor einigen Wochen für Aufruhr an den Börsen gesorgt. Welche Folgen erwarten Sie für die Bewertung amerikanischer KI-Titel?
Winkelmann: Die Nachrichten rund um Deepseek haben sehr vielschichtige Fragen aufgeworfen. Einerseits wurde die Vorherrschaft der amerikanischen Unternehmen in Frage gestellt. Zum anderen drängte sich die Frage auf, ob es wirklich notwendig ist, so viele Milliarden Dollar in den Aufbau der Server- und Datenzentrum-Infrastruktur zu stecken. Wie so häufig wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Unternehmen wie Meta, Google oder Amazon haben nach den Deepseek-Nachrichten ihre Kapazitätsplanungen bekräftigt oder gar ausgeweitet. Es macht den Eindruck, dass Deepseek eine clevere Optimierung und Effizienzsteigerung gefunden hat. Dass aber nun kein Geld mehr in die Erforschung neuer und besserer Modelle gesteckt wird, entpuppt sich wohl als falsche Angst.
Vielen Dank für das Gespräch. (bm)