Bafin-Direktor: "Wir brauchen verständliche ESG-Regelungen"
Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht und Asset Management bei der Finanzaufsicht Bafin, erklärt im Interview mit FONDS professionell ONLINE, warum eine Überarbeitung der EU-Offenlegungsverordnung zwingend erforderlich ist – und wo seine Behörde Verbesserungsbedarf sieht.
Die EU-Offenlegungsverordnung, die am 10. März 2021 in Kraft getreten ist, wird derzeit einer Generalüberholung unterzogen. Kerngedanke der Verordnung ist es, Anlegern mehr Informationen darüber an die Hand zu geben, inwieweit ein Finanzprodukt, etwa ein Fonds, Nachhaltigkeitsstandards berücksichtigt. Doch die Vorgaben sind extrem komplex. Die EU-Kommission hat im Zuge des Reviews von Level 1 der Offenlegungsverordnung Behörden, Finanzmarktakteure und Wissenschaftler dazu befragt, welche Änderungen sie an der Verordnung vornehmen würden. Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht und Asset Management bei der Finanzaufsicht Bafin, hat FONDS professionell erläutert, was seine Behörde für wichtig hält.
Herr Pötzsch, Ziel der EU-Offenlegungsverordnung ist es, für Anleger mehr Transparenz in Bezug auf nachhaltige Investments zu schaffen. Ist das Ihrer Einschätzung nach bisher gelungen?
Thorsten Pötzsch: Wir verdanken es der europäischen Regulierung, dass wir zu ESG-Aspekten heute überhaupt Offenlegungspflichten haben. Damit hat der europäische Gesetzgeber einen vernünftigen und großen Schritt gemacht. Die Offenlegungsverordnung will erstens Transparenz schaffen und Anleger dadurch in die Lage versetzen, gut informiert Entscheidungen zu treffen. Und zweitens soll sie auf diese Weise mehr Geld in die nachhaltige Transformation der Wirtschaft lenken. Beides ist gelungen.
Das klingt viel positiver, als zuweilen aus der Praxis zu hören ist.
Pötzsch: Bei allen positiven Aspekten gibt es auch berechtigte Kritik am Regelwerk: Es wurde in kurzer Zeit ein Dickicht an Regulierungsvorgaben geschaffen, das kaum noch jemand durchschaut. Jetzt gilt es, die Komplexität zu reduzieren, die in den vergangenen Jahren erzeugt worden ist. Der Gesetzgeber sollte hinterfragen, ob alle Regelungen weiter so bestehen bleiben müssen, wie sie jetzt sind. Und wir müssen prüfen, ob die gewünschte Transparenz nicht ein Übermaß an Informationspflichten begründet hat, das letztlich zu Desinformation führt. Kurz: Die Frage ist, wo Verbesserungen nötig und möglich sind. Genau dafür wird auf europäische Ebene zurzeit nach Antworten gesucht.
Die Europäische Kommission hat im Zuge des Reviews von Level 1 der Offenlegungsverordnung im September 2023 eine Konsultation unter Finanzmarktakteuren gestartet, die bis Dezember 2023 lief. Welche Themenkomplexe standen im Mittelpunkt der Konsultation?
Pötzsch: Die Konsultation ging außerordentlich weit und betraf unterschiedliche Aspekte. Ein wichtiges Thema war, ob sich die Artikel 8 und 9 der Offenlegungsverordnung in der Praxis bewährt haben, oder ob es besser wäre, stattdessen konkrete Produktkategorien einzuführen. Zur Diskussion stand auch, sich die Principal Adverse Indicators, kurz PAIs, noch einmal näher anzuschauen. Derzeit haben wir 18 verpflichtende PAIs und zwei zusätzliche. Eine Alternative dazu wäre, die verpflichtenden PAIs auf wenige zu reduzieren und damit das Übermaß an Informationen zu verkleinern. Dass eine solche Konsultation dringend notwendig war, haben die Reaktionen gezeigt: Bei der Europäischen Kommission sind mehr als 320 Stellungnahmen eingegangen, die die Kommission jetzt im Detail auswerten muss.
Erste Ergebnisse liegen bereits vor. Könnten Sie diese bitte kurz erläutern?
Pötzsch: Man kann sagen, dass sich eine überwältigende Mehrheit dafür ausgesprochen hat, für nachhaltige Investments eine Regulierung zu haben. Transparenzvorschriften werden als notwendig erachtet. Einig ist man sich auch darüber, die Regulierung auf der EU-Ebene zu verorten, weil nationale Vorschriften zu einem rechtlichen Flickenteppich führen würden. Das wäre im grenzüberschreitenden Geschäft nicht hilfreich. Kritischer wird dagegen die Konsistenz der einzelnen ESG-Regulierungen beurteilt.
Das klingt etwas technisch. Den Punkt müssten Sie bitte näher erläutern.
Pötzsch: Zahlreiche Stellungnahmen haben zum Ausdruck gebracht, dass die jetzigen Regulierungswerke, vor allem die Offenlegungs- und die Taxonomieverordnung, nicht richtig zueinander passen und daher passend gemacht werden müssen. Die Regulierung sollte unzweideutig festlegen, was ein nachhaltiges Produkt ist – und was gerade nicht.
Auch die Bafin hat Vorschläge für Änderungen der Offenlegungsverordnung vorgelegt.
Könnten Sie diese skizzieren?
Pötzsch: Als wichtigstes Ziel haben wir in unserer Stellungnahme die Reduktion der Komplexität formuliert. Wir brauchen Regelungen, die verständlich sind, und zwar nicht nur für absolute Spezialisten, sondern auch für diejenigen, die sie anwenden müssen.
Also zum Beispiel Anlageberater und Fondsvermittler.
Pötzsch: Ja, aber nicht nur. Auch Anleger müssen sie verstehen können. Wir raten dringend zu einfachen Produktkategorien. Als Bafin haben wir drei Kategorien vorgeschlagen, die unserer Ansicht nach in Betracht kämen. Die erste wäre für nachhaltig investierende Finanzprodukte vorgesehen, die zweite für Transformationsprodukte. Darunter würden etwa Fonds fallen, die in Unternehmen investieren, welche sich auf den Weg von "Braun" zu "Grün" gemacht haben. Und in die dritte Kategorie ließen sich jene Finanzprodukte einstufen, die bestimmte Ausschlüsse vorsehen, beispielsweise Investitionen in Kohle oder Tabak. Diese drei Produktkategorien wären unserer Meinung nach geeignet, um die Angebote leichter verständlich und vergleichbarer für Anleger zu machen. Uns ist ganz wichtig zu wissen, ob das Ganze in der Praxis funktioniert. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die Produktkategorien, bevor man sie einführt, umfassend, auch bei Verbrauchern, zu testen.
Was sind weitere wichtige Punkte in der Bafin-Stellungnahme?
Pötzsch: Wir müssen genau definieren, was ein nachhaltiges Investment ist, und zwar für den gesamten Bereich der ESG-Regulatorik. Gemeint ist hier vor allem die Konsistenz zwischen der Offenlegungsverordnung und der Taxonomie, aber auch mit anderen Regelwerken. Und schließlich liegt uns die Konzentration auf das Wesentliche am Herzen. Wir brauchen eben nicht mehr, sondern eine zielgerichtete, klare Regulierung. Die fehlt aktuell – und das ist ein wesentliches Manko. Es geht darum, den Aufwand zu reduzieren und zugleich die Transparenz zu erhöhen. Das meint auch, die Anzahl der PAIs deutlich zu verringern. Uns würden beispielsweise sechs Kennzahlen ausreichen.
Natürlich lässt sich derzeit noch nicht sagen, zu welchen Änderungen der Offenlegungsverordnung es kommen wird. Aber angenommen, Artikel 8 und 9 würden abgeschafft und durch konkrete Produktkategorien ersetzt: Würde dann auch die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage noch einmal ganz neu aufgestellt?
Pötzsch: Darüber will ich nicht spekulieren. Aber unsere Meinung als Aufsicht dazu ist, dass auch dieses Regelwerk mit anderen ESG-Regulierungen abgestimmt werden sollte. Das ist zwingend notwendig, um die Konsistenz des gesamten Systems aufrechtzuerhalten.
Ein Mehr an Transparenz, das durch Änderungen an der Offenlegungsverordnung eventuell geschaffen wird, würde bei vielen Anlegern ohne eine entsprechende Überarbeitung der Präferenzabfrage doch auch gar nicht ankommen, oder?
Pötzsch: Das ist richtig. Es muss so klar und einfach wie möglich sein. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Anleger verstehen sollten, worin sie ihr Geld anlegen. Und wenn dieses Ziel erreicht wird, dann sind wir zufrieden.
Vielen Dank für das Gespräch. (am)