Finanzbildung muss auf politische Agenda, fordert DIA
Im Lockdown des Frühjahrs 2020 haben sich Millionen Verbraucher erstmals mit ihrer Geldanlage beschäftigt. Dennoch bleibt das Thema für viele ein Buch mit sieben Siegeln. Wie sich die Finanzbildung verbessern lässt und wo der größte Nachholbedarf herrscht, offenbart ein Webinar.
Wie werden aus ahnungslosen Sparern souveräne Anleger? Ganz sicher nicht ohne ein Mindestmaß an Finanzbildung. Junge Menschen wissen wenig über Geldanlage und Altersvorsorge. "Deshalb stehen Staat und Bildungssystem in der Pflicht, für eine zumindest rudimentäre Finanzbildung zu sorgen", sagt Johannes Sczepan, Geschäftsführer der Finanzberatungsgesellschaft Plansecur. Fehlende Finanzbildung sei eine Hypothek künftiger Generationen. Von allein wird sich die Wissenslücke kaum schließen lassen. Darauf deutet eine Umfrage des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) unter jungen Deutschen vor einiger Zeit hin. Demnach sei der größte Antrieb, Informationen zu Wirtschafts- oder Finanzfragen zu suchen, die anstehende Steuererklärung, sagen 40 Prozent der Befragten. Nur 13 Prozent der Deutschen haben nach eigener Einschätzung eine gute Finanzbildung in der Schule erhalten, so das DIA.
Das müsse sich endlich ändern, fordert das DIA nun und diskutierte in seinem monatlichen Online-Gespräch "DIA digital" am gestrigen Donnerstag (26. August) mit Experten die wichtigsten Ideen. Die Botschaft: "Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem", sagt Bettina Stark-Watzinger, Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion. Die Kultusministerkonferenz, die dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegt, habe das Thema Finanzbildung aufgenommen, doch es sei nichts passiert, so die Bildungsexpertin.
Änderungen schon bei Lehrerausbildung nötig
Sven Schumann, Vorstand des Bündnisses Ökonomische Bildung in Deutschland, sieht aktuell viele Defizite bei der Finanzbildung. "Dafür sprechen sieben Millionen Überschuldete in Deutschland ebenso wie die geringe Partizipationsquote am Aktienmarkt von 17,5 Prozent." Finanzbildung könne man im "Schutzraum Schule" nicht auf externe Experten verlagern, da eine "Multi-Perspektive" nötig sei. Grundsätzlich würden mehr grundständig ausgebildete Lehrer benötigt, um Finanzbildung didaktisch zu vermitteln.
"Finanzbildung muss in den Schulen verankert sein und nicht nur einmalig in Projektwochen abgehandelt werden", so Stark-Watzinger. Theorie sei wichtig, der Praxisbezug aber auch, sagt Meike Richartz, Finanzpartnerin der Deutschen Bank. "In unseren Workshops für Schülergruppen der oberen Klassen geht es oft um Grundfragen zu ersten finanziellen Verträgen und die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung", so die Beraterin.
Lehrpläne optimieren und Medienkompetenz vermitteln
Die Diskutanten sehen die Chance zur Optimierung bestehender Fächer und Lehrpläne an den Schulen. Auch die Medienkompetenz muss stärker vermittelt werden, regt Sven Schumann an. DIA-Sprecher Fabian Dittrich verweist darauf, dass nach DIA-Umfragen Finanzwissen vor allem situativ abgerufen werde, nicht jedoch auf "Vorrat". Schumann regt dazu an, das schwedische Modell näher anzuschauen, wo Finanzbildung in sieben Modulen lebensbegleitend implementiert ist – von der Kita und der Ausbildung bis zur Rente.
Mit Blick auf die Informationsflut in den sozialen Medien fällt im Webinar auch der Begriff "Finanz-Pornografie". Die Kunst bestehe darin, hochwertige Inhalte aufzufinden. Dazu könne auch eine "virtuelle Litfaßsäule" zur unabhängigen Einordnung und Bewertung von Finanzinformationen dient, regt das DIA an. "Medienkompetenz muss in der grundständigen Ausbildung vermittelt werden", so Stark-Watzinger. Fazit: Patentrezepte gibt es nicht, aber viele Ansätze, um die unbefriedigende Situation zu verbessern.
Schüler sehen sich selbst mit wenig Finanzkompetenz
Immerhin rund neun von zehn Jugendlichen wünschen sich, dass ihnen Geld- und Finanzthemen bereits in der Schule ausführlich vermittelt werden, ergab kürzlich eine Forsa-Umfrage unter über 1.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Aktuell geben sich die Befragten selbst zu ihrer Kompetenz auf diesem Gebiet nur die Schulnote 3,3. (2018: 3,1).
Laut Studie ist die Schule für 22 Prozent der Befragten Informationsquelle Nummer eins beim Thema Finanzen (2018: 38 Prozent). Stattdessen beziehen 83 Prozent den größten Anteil ihres Wissens aus Gesprächen mit ihrer Familie. Nur 23 Prozent der Jugendlichen schätzen ihren Wissensstand zu Versicherungen als sehr gut oder gut ein, zur Geldanlage immerhin knapp ein Drittel.
Kommt das Schulfach "Wirtschaft" in weiteren Ländern?
Schon in der Vergangenheit wurde immer wieder der Ruf nach finanzieller Grundbildung laut: In einer Jugendstudie der Comdirect, für die 2019 bundesweit 1.600 Jugendliche befragt wurden, wünschten sich 92 Prozent das Schulfach "Finanzen", 49 Prozent sprachen sich sogar für ein Pflichtfach aus. Damals konnte ein Drittel der Teilnehmer nicht erklären, was eine Inflation ist.
Die Debatte um die Einführung eines Pflichtfachs "Wirtschaft" könnte im Zusammenhang mit der Bundestagswahl wieder angeheizt werden. Nur Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfahlen haben ein entsprechendes Pflichtfach in allen weiterführenden Schulen eingeführt. In den Wahlprogrammen taucht das Thema lediglich bei der FDP auf. (dpo)