Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat mit Beschluss vom 9. Januar 2025 (Az.: 8 U 1684/24) entschieden, dass ein Beratungsverzicht nach Paragraf 6 Absatz 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) auch auf vorformulierten Formularen erfolgen darf – sofern er optisch deutlich hervorgehoben und eigenhändig unterschrieben ist. Ein gesondertes Dokument ist nicht erforderlich, um wirksam auf eine Beratung und gegebenenfalls auch auf die Dokumentation dieser Beratung zu verzichten. 

Das berichtet Tobias Strübing, Fachanwalt für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte. Er sieht den Beschluss aber sehr kritisch, weil das OLG eine Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zumindest erschwert habe. "Die Tragweite dieser Entscheidung ist meines Erachtens so weitgehend, dass eine höchstrichterliche Überprüfung durch den BGH mehr als wünschenswert gewesen wäre. Denn diese Entscheidung lässt sich so auch auf den Beratungsverzicht für Vermittler gemäß Paragraf 61 Absatz 2 VVG übertragen und hat damit Auswirkungen auf die gesamte Branche", so Strübing. "Die fehlende Möglichkeit einer höchstrichterlichen Klärung erschwert nun aber weiter eine einheitliche Rechtsprechung und lässt Verbraucher, Vermittler und Versicherer mit Rechtsunsicherheiten zurück."

Telefonberatung
Worum geht es im Detail? Der Kläger hatte dem Juristen zufolge nach einem etwa 45-minütigen telefonischen Beratungsgespräch mit einem Versicherer ein Antragsformular für eine fondsgebundene Rürup-Rente erhalten. Darin war die Option "Ich verzichte auf die Beratung" bereits vorgedruckt und angekreuzt. Der Kläger unterschrieb diesen Beratungsverzicht eigenhändig. Später machte er Schadensersatz geltend, da er der Auffassung war, nicht ausreichend beraten worden zu sein und die Folgen seines Beratungsverzichts nicht richtig verstanden zu haben. "Die Versicherung verteidigte sich im Wesentlichen damit, dass der Kläger wirksam auf die Beratung verzichtet habe und daher denklogisch keinen Schadensersatzanspruch wegen einer fehlerhaften Beratung geltend machen könne", schreibt Strübing.

Dieser Argumentation folgte das OLG Nürnberg. Das Gericht stellte klar, dass eine wirksame Verzichtserklärung gemäß Paragraf 6 Absatz 3 Satz 1 VVG nicht unbedingt auf einem separaten Dokument erfolgen muss. Vielmehr sei es ausreichend, wenn die Erklärung deutlich sichtbar gestaltet und vom Verbraucher bewusst und eigenhändig unterschrieben werde. Auch eine vorformulierte Erklärung sei zulässig, sofern der Verbraucher deutlich auf mögliche nachteilige Folgen hingewiesen werde. 

Kein Probleme mit BGB
Laut dem OLG Nürnberg sei die Verzichtserklärung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, sodass eine sogenannte AGB-Kontrolle auch mit Blick auf Paragraf 307 Absatz 2 Nummer 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht in Betracht kommt. "Nach dieser Vorschrift wären solche Formularklauseln unwirksam, die mit dem wesentlichen Grundgedanken der verbraucherschützenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes unvereinbar wären. Jedenfalls bei einem standardmäßigen Beratungs- und/oder Dokumentationsverzicht läge dieser Gedanke sehr nahe", so Strübing.

Jedoch wies das Gericht dem Juristen zufolge zugleich darauf hin, dass ein Beratungsverzicht nach Paragraf 138 Absatz 1 BGB sittenwidrig und damit unwirksam sein kann, wenn im Einzelfall ein klares Verhandlungsungleichgewicht zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer besteht oder der Versicherer einen offensichtlichen, besonderen Beratungsbedarf hätte erkennen müssen. Allerdings ist dafür der Versicherungsnehmer darlegungs- und beweisbelastet, wozu der Kläger in dem vom OLG Nürnberg entschiedenen Sachverhalt allerdings nichts Substanzielles vortrug. (jb)