Politiker und Aufsichtsbehörden in der Europäischen Union favorisieren als Entgelt für die Beratung zu Finanz- und Versicherungsprodukten von den Kunden gezahlte Honorare statt Provisionen. Allerdings haben sie zumindest in Bezug auf die Vergütung bei Lebensversicherungen in Deutschland offenbar die Rechnung ohne die Verbraucher gemacht. Denn der Großteil von ihnen bevorzugt Bruttotarife mit einkalkulierten Provisionen für Vermittler, nur eine Minderheit findet Nettotarife ohne Provisionen interessanter. Das ist das Ergebnis der aktuellen Studie "Wert unabhängiger Versicherungsberatung". 

Die Autoren Matthias Beenken und Lukas Linnenbrink, beide Professoren der Fachhochschule Dortmund, haben dafür ein zweiteiliges Online-Experiment mit 2.034 repräsentativ ausgewählten Personen gemacht. Diese wurden einer Pressemitteilung der Hochschule zufolge von einem mit künstlicher Intelligenz generierten Avatar beraten und erhielten das Angebot, eine Rentenversicherung mit Bruttotarif oder eine günstigere Nettotarif-Variante, aber zuzüglich eines Honorars, abzuschließen. Die Prämienersparnis über 20 Jahre wurde als Summe genannt. Die Teilnehmer wurden zudem in mehrere Gruppen unterteilt, denen unterschiedlich hohe Honorare angeboten wurden, wodurch einige Angebote günstiger und andere teurer als Bruttotarife wurden.

Mit und ohne Erläuterung
Im ersten Experiment wurden der Mitteilung zufolge die beiden Varianten Bruttotarif und Nettotarif plus Honorar ohne weitere Begründungen vorgestellt. Im zweiten Experiment erläuterte der Avatar zusätzlich den Zeitaufwand der Beratung und Vermittlung. Ferner wurde einer Kontrollgruppe nur ein Bruttotarif angeboten, um die generelle Abschlussbereitschaft für eine Rentenversicherung festzustellen. 

Immerhin, das erste Ergebnis der Studie ist, dass die Möglichkeit der Wahl zwischen den beiden Varianten Brutto- und Nettotarif die Bereitschaft zum Abschluss einer Lebensversicherung deutlich steigert. Weiter zeigte sich aber, dass viele Verbraucher keine rationale Entscheidung treffen: "54 Prozent der Teilnehmenden, die das niedrigste Honorar angeboten bekamen, entschieden sich trotzdem für den teureren Bruttotarif. Umgekehrt entschieden sich immer noch 21 Prozent derjenigen, die das zu teure, höchste Honorar angeboten bekamen, gegen den günstigeren Bruttotarif", schreiben die beiden Professoren.

Direkter Vergleich mit dem Honorar
Die Erklärung: Die meisten Kundinnen und Kunden haben in der Nachbefragung angegeben, sie hätten für ihre Entscheidung die Prämienersparnis über in diesem Fall 20 Jahre mit dem sofort fälligen Honorar verglichen, heißt es weiter in der Mitteilung. Die Zeitdifferenz zwischen Honorarzahlung und Eintreten der Vorteile erschwere aber den Vergleich zwischen einem Bruttotarif und einem Nettotarif mit Honorar. "Problematisch ist, dass viele Kunden einfach nominal die in der Beratung genannten Beträge vergleichen", konstatiert Linnenbrink. 

Das zweite Experiment zeigt den Autoren zufolge, dass eine Begründung des Honorars mit dem Aufwand, der damit bezahlt wird, keine höhere Akzeptanz des Honorars hervorruft. "Den meisten Verbrauchern fällt es schwer, den Wert einer unabhängigen Beratung zu erkennen", fasst Beenken zusammen. "Die in der Verbraucherpolitik gern verwendete Annahme, Entscheidungen würden rational getroffen, hält der Realität nicht stand." So würden weiter 71 Prozent der Verbraucher es für grundsätzlich attraktiver halten, wenn in einem Versicherungsangebot alle Kosten einkalkuliert sind. Zudem finden 65 Prozent aller Teilnehmenden die ihnen angebotenen Honorare nicht angemessen.

Kein Provisionsverbot und gleiche Wettbewerbsbedingungen
Nach Meinung der Autoren sprechen die Ergebnisse gegen ein Provisionsverbot und gegen einen Zwang zur Honorarberatung. "Als Ökonomen halten wir es für richtig, wenn die Kundinnen und Kunden selbst entscheiden, welche Vergütungsform sie wählen", argumentiert Linnenbrink. "Allerdings sollte es dabei gleiche Wettbewerbsbedingungen geben", fordert Beenken. "In der Vergangenheit wurden Maßnahmen gegen nachteilige Provisionsgestaltungen ergriffen, aber keine gegen nachteilige Honorargestaltungen. Hier wäre mehr Ausgewogenheit zum Schutz derjenigen Verbraucher nötig, die leicht zu übervorteilen sind." (jb)