Immer mehr Menschen fühlen sich von negativen Nachrichten überfordert. Das sogenannte "News-Avoidance"-Phänomen nimmt laut Reuters Institute in westlichen Gesellschaften zu. Aber sind allein Krisen und Weltlage verantwortlich? Oder verstärken Journalisten durch ihre Berichterstattung die negative Stimmung?

Dieser Frage sind Wirtschaftsforscher des Epos Economic Research Center der Universitäten Bonn und Mannheim nachgegangen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Diskussionspapier "Reporting Big News, Missing the Big Picture? Stock Market Performance in the Media".

Börsenberichte im Fokus der Untersuchung
Untersucht wurde der zweiminütige Börsenbericht im "ZDF-Heute-Journal", konkret 1.846 Übertragungen aus den Jahren 2017 bis 2024. Die Reporter berichteten darin über die wichtigsten Wirtschaftsnachrichten und erwähnten in etwa jeder dritten Sendung explizit die Tagesveränderung des Dax.

Die Wissenschaftler verglichen die Entwicklung der Börsenberichterstattung mit der tatsächlichen Dax-Performance. Dabei zeigte sich: Wenn die Tagesveränderung des Dax genannt wurde, fiel die Berichterstattung überwiegend negativ aus. "Zusammengenommen ergeben die Erwähnungen einen Rückgang von zehn Punkten pro Tag", erklärte Antonio Ciccone, Professor an der Universität Mannheim und einer der Studienautoren. Tatsächlich legte der Index im Untersuchungszeitraum jedoch "durchschnittlich vier Punkte am Tag" zu.

Positive Entwicklungen bleiben oft unerwähnt
An den zwei Dritteln der Handelstage, an denen keine explizite Dax-Nennung erfolgte, entwickelte sich der Index deutlich besser. "An diesen Handelstagen ohne explizite Nennung stieg der Index um zehn Punkte", sagte Ciccone. Die Forscher summierten die Tagesveränderungen getrennt nach Berichterstattung und deren Ausbleiben: Während sich der tatsächliche Dax-Wert in acht Jahren verdoppelte, halbierte sich der berichtete Dax beinahe. Bemerkenswert sei, so Ciccone, dass der "nicht-berichtete" Dax sogar um 25 Prozent stärker gestiegen sei als der reale Index.

"Big News Bias" als zusätzlicher Verstärker
Die Studie stellt fest, dass nicht nur der Fokus auf negative Nachrichten zu dieser Verzerrung führt. Hinzu komme der sogenannte "Big News Bias" – die Neigung von Journalisten, über kurzfristige, aufmerksamkeitsstarke Ereignisse zu berichten.

"Große Tagesausschläge sind eher negativ, während Aufwärtsbewegungen meist in vielen kleinen Schritten erfolgen", erklärte Ciccone. Diese Dynamik führe dazu, dass Medien vor allem über dramatische Kursverluste berichteten, während kontinuierliche positive Entwicklungen weniger Beachtung fänden.

Appell an Journalisten: Mehr langfristige Analysen
Ciccone fordert deshalb, Journalisten sollten Fortschritt anders darstellen: "Fortschritt ist oft das Ergebnis vieler kleiner Verbesserungen, teilweise unterbrochen von Rückschlägen." Er verwies auf das Buch "Factfulness" von Hans Rosling und seinen Co-Autoren, das diesen Mechanismus eindrucksvoll beschreibe. Längerfristige Fortschritte blieben jedoch häufig unbeachtet, da der Fokus auf spektakulären Tagesveränderungen liege. In der Analyse der vergangenen acht Jahre fanden die Forscher lediglich zwölf Berichte, die einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten betrachteten.

"Mein Appell an Journalisten lautet daher: mehr Analyse in größeren Zeiträumen", so Ciccone weiter. Nur wenn Medien langfristige Entwicklungen, Trends und Hintergründe stärker berücksichtigen, könnten Zuschauer und Leser die Nachrichten besser einordnen. Das sei wichtig, um der zunehmenden Überforderung durch einseitig negative Berichte entgegenzuwirken. (mb)