Die Master-Studentin der TU Dortmund ist ein wenig nervös, als sie die Seminararbeit ihres Teams vorstellt. Kein Wunder, handelt es sich doch um ein eher ungewöhnliches Thema: Die junge Frau stellt die Costar Group vor, einen Datenanbieter und Portalbetreiber für den US-Immobiliensektor, gefolgt von einer Einschätzung, ob die Aktie aktuell über- oder unterbewertet ist.

Auch der Ort der Präsentation ist unüblich: Sie spricht nicht in einem Seminarraum in Dortmund, sondern in einem hellen Veranstaltungssaal des Versicherers DEVK in Köln. Und das Publikum? Darf ebenfalls als außergewöhnlich gelten. Hier lauschen nicht nur die eigenen Kommilitonen und Professoren, sondern auch Studenten anderer Hochschulen – sowie gestandene Führungskräfte aus der Assekuranz und der Investmentbranche.

Verbindung von Lehre und Praxis
Wer dieser Veranstaltung in Köln beiwohnt, wird Zeuge eines eher seltenen Phänomens: der direkten Verbindung von Lehre und Praxis in der Finanzwissenschaft. Klar, angehende Portfoliomanager und Aktienanalysten absolvieren meist Praktika bei Fondsanbietern oder Banken, bevor sie ihren ersten Arbeitsvertrag unterschreiben. Aber während der eigentlichen akademischen Ausbildung ist eine solche Praxisnähe die absolute Ausnahme.

"In den USA bietet jede gute Uni für Finance-Studenten Seminare zum Thema 'Applied Equity Research'", berichtet Florian Sonnenburg. "In Deutschland dagegen gab es so etwas nicht." Dank Sonnenburg, dessen Investmentboutique den Applied Science Equity Fund berät, hat sich das geändert. Vor fünf Jahren bot der promovierte Betriebswirt an der Universität zu Köln sein erstes Seminar "Angewandte Aktienanalyse" an, 2020 folgten die Bergische Universität Wuppertal und die TU Dortmund, 2021 die Universität Bielefeld. Im vergangenen Jahr lud Sonnenburg dann erstmals zum "Finaltag", an dem Vertreter der vier Universitäten ihre Ergebnisse in Köln präsentieren – und um Stipendien konkurrieren, die seine Firma Sonnenburg Investments ausgelobt hat.

Vorbild Buffett
Diese enge Verbindung von Wissenschaft und Praxis erklärt sich aus Sonnenburgs Vita. Mit 17 Jahren beginnt er, Aktien zu kaufen. Seine Vorbilder heißen Warren Buffett und Benjamin Graham, sein Investmentstil natürlich Value. In seiner Diplomarbeit entwickelt der Kölner ein Modell, um systematisch unterbewertete Qualitätsfirmen zu identifizieren. Doch statt mit diesem Wissen Karriere in Frankfurt zu machen, bleibt er der heimischen Uni als wissenschaftlicher Mitarbeiter treu. Er investiert weiter, aber nur als Privatmann. Das ändert sich erst 2020: Sonnenburg gibt seine Verbeamtung auf, um einen Fonds zu lancieren – und das seinerzeit entwickelte Modell nicht nur im eigenen Depot, sondern im großen Stil anzuwenden. Sonnenburg gelingt es, die DEVK als Seed-Investor zu gewinnen. Aufgelegt wird der Fonds bei der Monega, das Haftungsdach stellt BN & Partners.

Mittlerweile verwaltet der Applied Science Equity Fund immerhin gut 23 Millionen Euro – kein schlechter Wert für eine Investmentboutique, deren Gründer nicht auf einen erfolgreichen Track Record bei bekannten Asset Managern und entsprechende Kontakte zu potenten Investoren bauen kann. Trotz oder gerade wegen der ersten Erfolge als Portfoliomanager ist es Sonnenburg wichtig, den Kontakt zur Wissenschaft zu halten.

Analysieren wie ein Fondsmanager
"Mir ist es ein Herzensanliegen, die Studenten für die Idee des langfristigen Investierens zu begeistern. Ich möchte, dass sie über Unternehmen nachdenken, nicht über Aktienkursentwicklungen", sagt er. Die Seminare, die er gemeinsam mit seinem Kollegen Simon Lesmeister – ebenfalls promovierter Betriebswirt – hält, sollen dabei helfen. "Die Studenten analysieren selbstständig ein vorgegebenes Unternehmen", sagt Sonnenburg. "Im Seminar vollziehen sie gewissermaßen den Analyseprozess nach, der auch Grundlage unseres Fonds ist."

Holt er sich etwa Aktientipps bei den Studenten? "Nein, das wäre schon aus regulatorischen Gründen nicht möglich", sagt Sonnenburg. "Wir behandeln in den Seminaren auch nur Unternehmen, die wir für unseren Fonds ohnehin schon tiefgehend analysiert haben. Aber es ist natürlich immer interessant, eine zweite Meinung zu einem Geschäftsmodell zu hören."

Stipendien
Zehn Basispunkte seiner Anlageberatergebühr reicht Sonnenburg für Stipendien an die Hochschulen weiter, in diesem Jahr immerhin gut 15.000 Euro. Das motiviert die Studenten zusätzlich. Über die Vergabe entscheidet eine vierköpfige Jury, der neben Lesmeister drei externe Experten angehören: Monega-Geschäftsführer Christian Finke, DEVK-Kapitalanlageexperte Toni Weigl und Philipp Haag, Portfoliomanager bei der Versorgungskasse KZVK.

Für die Studentin der TU Dortmund hat es am diesjährigen Finaltag nur für den vierten Platz gereicht. Den Sieg sicherte sich das Team der Uni Köln. Wie dessen Vertreter das US-Unternehmen Airbnb, die wichtigsten Finanzkennzahlen, die Chancen und die Risiken des Geschäftsmodells vorstellte, hat die Jury am meisten beeindruckt. Wer weiß, vielleicht steigt er nach seinem Masterabschluss ja bei einem Asset Manager ein. Wie man ein Geschäftsmodell tiefgehend analysiert, hat er dann schon gelernt. (bm)