Marcus Wetzel, Geschäftsführer von Martens & Prahl Pensionsmanagement und im Ehrenamt bis Ende dieser Woche noch Leiter des Arbeitskreises bAV des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler (BDVM), äußert sich im Interview mit FONDS professionell ONLINE zum Spannungsfeld von traditioneller Leistungsstärke und notwendiger Erneuerung der Betriebsrente.


Herr Wetzel, das Zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG II) ist durch den Bruch der Ampel-Koalition auf der Zielgeraden gestoppt worden. Was heißt das für die Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung (bAV) in Deutschland insgesamt?

Marcus Wetzel: Ziel der Regierung war es nach eigenen Angaben, dass mehr Menschen von einer guten Betriebsrente profitieren können. Das Sozialpartnermodell sollte ausgebaut und Beschäftigte mit niedrigem Einkommen besser gefördert werden. Der Referentenentwurf war ambitioniert, das geplante Gesetz letztlich aber kein großer Wurf. Nach dem Ampel-Aus läuft alles erst einmal so weiter wie bisher. Der Regierungswechsel bietet jetzt vielleicht eine Chance, mutigere Ansätze zur Stärkung der bAV zu verfolgen. Diese wird aufgrund des demografischen Wandels und der Lage der gesetzlichen Rentenversicherung immer wichtiger.

Bleiben die Impulse, die das Erste Betriebsrentenstärkungsgesetz (1. BRSG) von 2018 gebracht hat. Welche Aspekte daraus haben die praktische bAV-Beratung aus Ihrer Sicht bereichert?

Wetzel: Während das Sozialpartnermodell in der Praxis noch keine größere Rolle spielt, hat die Einführung des obligatorischen Arbeitgeberzuschusses, den Anreiz für die Mitarbeiter an einer freiwilligen Teilnahme an der Entgeltumwandlung erhöht. Mit dem BRSG wurde der Förderrahmen von vier auf acht Prozent der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) erweitert. Das gibt den Arbeitnehmern die Möglichkeit, deutlich mehr Geld in ihre Altersvorsorge zu investieren, ohne dass diese Zahlungen sofort steuerlich belastet werden. Die Dotierungshöchstgrenze im Sozialversicherungsrecht ebenfalls auf acht Prozent anzuheben, wäre angemessen.

Als bAV-Spezialist beraten Sie für die Martens & Prahl Holding vorwiegend größere Konzerngesellschaften zur Betriebsrente. Welche Durchführungswege stehen dabei im Blickpunkt?

Wetzel: Wir beraten in der Regel Konzernunternehmen und größere Mittelständler, die Altersversorgungssysteme haben und erneuern wollen. Dabei stehen Versorgungssysteme im Durchführungsweg Pensionszusage im Fokus. Vertreten sind in unserer Beratung jedoch alle Durchführungswege, vielfach auch nebeneinander. Im Durchführungsweg Direktversicherung haben wir zuletzt sehr attraktive Systeme für selbständige Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU) über die bAV bei einem großen Unternehmen der IT-Branche eingeführt. Dadurch bekommen 8.500 Mitarbeiter individuell vereinbarten BU-Schutz über die Firma – ohne Gesundheitsfragen beantworten zu müssen.

Pensionszusagen sind vor allem wegen der nötigen Rückstellung in der Firmenbilanz gerade bei kleinen Firmen unbeliebt. Was spricht dennoch für diesen Durchführungsweg?

Wetzel: Insbesondere ist er geeignet für die Versorgung von Führungskräften, weil sich hohe Leistungen darstellen lassen und eine gute Flexibilität erreicht wird, indem sich etwa auch Tantiemen in Betriebsrente umwandeln lassen. Zudem sind unbegrenzt Zuwendungen für alle möglich, die die steuerfreien Grenzen des Paragrafen 3 Nr. 63 EStG bereits ausgeschöpft haben. Die Risiken aus der Pensionszusage für den Arbeitgeber können durch die Gestaltung und durch Abschluss einer Rückdeckungsversicherung vermieden werden. Spannend ist die Pensionszusage auch im Rahmen der arbeitgeberfinanzierten bAV, wenn sie als wertpapiergebundene Versorgungszusage eingerichtet wird, um Leistungsträger an das Unternehmen zu binden.

Vielfach stehen noch Leistungszusagen in den Bilanzen, die sukzessive durch beitragsorientierte Leistungszusagen (BoLZ) ersetzt werden. Wie lösen Sie als Makler das Problem der Umstellung?

Wetzel: Es geht insbesondere um vier Punkte: Risikominimierung für den Arbeitgeber, bilanzielle Entlastung, bessere Flexibilität und Planbarkeit der bAV sowie um die Anpassung an moderne Arbeitsmärkte. Letzteres bedeutet unter anderem: Da insbesondere jüngere Arbeitnehmer transparente und übersichtliche Modelle bevorzugen, drängt sich die BoLZ hier geradezu auf, denn sie bietet ein relativ gutes Preis-Leistungsverhältnis für den Arbeitnehmer bei klar definierten Verpflichtungen zu Beitragszahlung und ohne Nachschussrisiko für den Arbeitgeber.    

Bei Leistungszusagen waren aber arbeitsrechtliche Zusagen zu beachten, die sich nicht aufweichen ließen, oder doch?

Wetzel: Richtig, aber der Arbeitgeber ist in der Wahl des Durchführungsweges grundsätzlich frei. Versorgungsverpflichtungen aus Direktzusagen können beispielsweise auch auf eine Pensionskasse, eine Direktversicherung, einen Pensionsfonds oder eine Unterstützungskasse übertragen werden. Es gibt keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Einhaltung des vereinbarten Durchführungswegs. Für neue Mitarbeiter kann zum Beispiel eine neue kollektive Versorgungszusage erteilt werden, die sich auch außerhalb von den bestehenden Systemen ausgestalten lässt. Für den Bestand kann über eine personenbezogene Günstigerprüfung sichergestellt werden, dass kein Mitarbeiter durch das neue bAV-Modell schlechter dasteht als vorher mit der Leistungszusage. Das neue System wird dann über eine kollektive Versorgungszusage implementiert.

Ein bAV-Berater aus Ihrem Hause steht den Mitarbeitern der Firmen, denen Sie das bAV-System einrichten oder umstellen, für Fragen vor Ort zur Verfügung. Wie lässt sich dieser Aufwand für Berater refinanzieren?

Wetzel: In der Regel wird unsere Dienstleistung durch Courtagen finanziert, auch wenn im Kollektivgeschäft nur die Hälfte der sonst üblichen Vergütung gezahlt wird. Zunehmend beraten wir auch gegen Honorar und empfehlen entsprechende Nettotarife. Das machen viele Lebensversicherer mit. Bei der Bearbeitung von Störfällen wie Elternzeit oder Ausscheiden des Mitarbeiters läuft die Finanzierung unserer Dienstleistung inzwischen fast nur noch gegen Honorar.

Vor allem Geringverdiener sind durch die Förderung im 1. BRSG seit 2018 zu mehr bAV gekommen. Was raten Sie Ihren Arbeitgeberkunden für diese Zielgruppe?

Wetzel: Sie sollten neben der konsequenten Umsetzung der Geringverdienerförderung flexible Modelle anbieten, bei denen die Höhe der Entgeltumwandlung an die finanziellen Möglichkeiten der Mitarbeiter angepasst werden kann. Besonders für Geringverdiener bietet sich auch ein Matching-System mit hoher Beteiligung des Arbeitgebers an. Hier könnten auch Opting-out-Systeme interessant sein, wenn der Gesetzgeber sie zuließe, da für Geringverdiener die bAV besonders dringend ist und kein Monat verpasst werden sollte.

Um mehr bAV-Verbreitung zu schaffen, wird seit längerem auch ein Opting-out diskutiert.

Wetzel: Wir haben sehr positive Erfahrungen mit dem Opting-out gemacht, darunter beim Maschinenbauer Koenig & Bauer, wo die bAV von der reinen Leistungszusage auf eine BoLZ umgestellt und dabei für die künftigen Beiträge ein Opting-out eingerichtet wurde. Durch das BRSG sind seit 2018 Regelungen zu Optionsmodellen in das Betriebsrentengesetz eingefügt worden. Bei Optionsmodellen wird vom Arbeitgeber automatisch ein bestimmter Teil des Bruttoentgelts zur Finanzierung einer bAV einbehalten. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, der automatischen Umwandlung zu widersprechen ("Opt out") – allerdings nur durch Regelungen in einem Tarifvertrag. Der Referentenentwurf zum BRSG II sah vor, dass auch ohne tarifvertragliche Grundlage ein Optionsmodell installiert werden kann. Nun bleibt die Ausbreitung des Opting-out nach dem Gesetzes-Stopp vorerst weiter stark eingeschränkt.

Die baV als primär freiwillige Sozialleistung der Arbeitgeber muss bezahlbar bleiben. Doch die Anforderungen durch Regulierung wachsen ständig. Was muss sich aus Makler-Sicht da vor allem ändern?

Wetzel: Es geht vor allem um die Vereinfachung der Dokumentationspflichten, die Harmonisierung von bAV-Regelungen und die Reduktion von Haftungsrisiken für Arbeitgeber. Was die Dokumentationspflichten betrifft, brauchen wir dringend weniger Bürokratie, insbesondere bei der Einrichtung und Verwaltung von bAV-Modellen. Eine kleine Erleichterung brachte kürzlich das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz, mit dem das strenge Schriftformerfordernis aus dem Nachweisgesetz, das in Teilen auch für die bAV galt, in ein Textformerfordernis umgewandelt wurde. Für Pensionszusagen ist aus steuerlicher Sicht aber weiterhin die Schriftform notwendig. Vereinheitlicht gehören auch die Vorgaben im Steuer- und Sozialversicherungsrecht sowie die Fördergrenzen bei der Entgeltumwandlung, um die bAV-Beratung und -implementierung zu erleichtern. Nötig wäre auch, gesetzlich klarzustellen, dass Versorgungszusagen auch mit weniger als 100 Prozent Garantie rechtssicher vereinbart werden können. Wenn BoLZ-Anbieter zum Beispiel 80 Prozent Garantie offerieren, bleibt für den Arbeitgeber ein gewisses Nachschussrisiko.  

Leistungskürzungen bei einigen Pensionskassen im Niedrigzinsumfeld hatten Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeschreckt. Was können bAV-Berater tun, um für alle Beteiligten rechtlich saubere Lösungen hinzubekommen?

Wetzel: Hier haben wir als Berater tatsächlich eine wichtige Rolle. Bestehende bAV-Lösungen müssen gründlich geprüft und gegebenenfalls angepasst werden, etwa: Existieren Vertragsklauseln, die zu Leistungskürzungen führen könnten? Zudem obliegt uns durch Marktrecherche die Auswahl finanzstarker Produktpartner. Häufig muss auch kreativ überlegt werden, wie bestehende bAV-Verträge neuer Mitarbeiter in das Versorgungssystem integriert werden können.

Sie sprechen das Problem der Übertragbarkeit von Versorgungsansprüchen an, die sogenannte Portabilität, die gesetzlich unzureichend geregelt ist. Was raten Sie da Ihren Firmenkunden?

Wetzel: Früher haben große Firmen bei Neueinstellung von Mitarbeitern meist die Übernahme der alten bAV-Ansprüche abgelehnt. So häuften sich bei einer bewegten Erwerbsbiografie mehrere kleine Betriebsrenten für den betroffenen Arbeitnehmer, deren Verwaltung teuer ist und dem Arbeitnehmer den Überblick schier unmöglich machte. Heute prüfen wir für den Arbeitgeber, ob die alte bAV komplett übernommen wird, lediglich das Deckungskapital übertragen wird – schlecht, wenn bei Abschluss oft ein höherer Rechnungszins galt als aktuell – oder der Arbeitgeber die Beitragszahlung der alten bAV beim bisherigen Anbieter übernimmt. Dazu braucht man fachliche Expertise auch von Rechtsanwälten und Steuerberatern, mitunter auch von Aktuaren. Schon deshalb sollten Makler für solche Prüfprozesse ein Honorar mit dem Firmenkunden vereinbaren, denn Courtage ist dafür ja nicht vorgesehen.

Vielen Dank für das Gespräch. (dpo)