Berufsunfähigkeit: In so vielen Fällen zahlen die Versicherer
Die Stunde der Wahrheit schlägt bei BU-Versicherungen erst, wenn Kunden den Antrag auf Leistungen stellen. Die Leistungspraxis maßgeblicher BU-Anbieter wurde zum neunten Mal vom Analysehaus Franke und Bornberg untersucht. Die Details.
Gut 78 Prozent aller Leistungsanträge auf BU-Rente werden von den Versicherern genehmigt. Das liegt im Bereich der Vorjahre und klingt zunächst sehr gut. Wie die 9. BU-Leistungspraxis-Studie des Analysehauses Franke und Bornberg (FuB) jedoch weiter zeigt, ist diese Zahl mit Vorsicht zu genießen. Denn: "Zum ersten Mal seit dem Start unserer Untersuchungen 2014 entscheiden Versicherer selbst über weniger als 50 Prozent aller gemeldeten BU-Fälle", berichtet FuB-Geschäftsführer Michael Franke.
Häufig bleibe die Entscheidung des Versicherers aus, weil Versicherte die erforderlichen Nachweise nicht erbringen ("Mitwirkungspflichten verletzt") oder ihren BU-Antrag aktiv zurückziehen. Oft würden Leistungen auch verfrüht beantragt, um keine Fristen zu versäumen. Zudem werde Berufsunfähigkeit mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit verwechselt, heißt es bei FuB.
Sechs Anbieter mehr mit BU-Datentransparenz
Immerhin verbessert sich die Datenlage laufend. Für die Studie haben 16 Anbieter mit 9,34 Millionen BU-Bestandskunden Daten zur Verfügung gestellt. Bei der vorherigen Studie Ende 2023 nahmen erst zehn Gesellschaften mit 7,7 Millionen BU-Policen im Bestand teil, wie schon in den Jahren zuvor. Die Studie untersuchte diesmal BU-Leistungsanträge, die 2023 entschieden wurden. Neben der Datenanalyse setzt FuB auf Stichproben vor Ort. Die Analysten ziehen mindestens 125 Schadenakten je Gesellschaft heran, insgesamt mehr als 1.650 Leistungsfälle, wobei "Ablehnungen mit 60 Prozent übergewichtet werden, weil sie ein höheres Konfliktpotenzial bergen", erklärt Franke.
Häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit sind – überproportional oft bei Frauen – psychische Erkrankungen (29,19 Prozent der BU-Fälle), gefolgt von Krankheiten des Muskel-Skelettsystems (19,4 Prozent), an denen zumeist Männer erkranken, und Krebs (17,75 Prozent). Ähnliche Ergebnisse hatte das BU-Rating von Morgen & Morgen ergeben, wo psychische Erkrankungen sogar 35,75 Prozent aller Fälle ausmachen.
Mehr Transparenz, aber noch immer lange Bearbeitungszeiten
"Die Teilnehmer setzen auf Transparenz in der BU-Leistungsprüfung“, lobt Franke. Transparenz schaffe Vertrauen, und das sei für die Assekuranz ein hohes Gut. "Je mehr Unternehmen diese Offenheit praktizieren, umso besser", ist Franke überzeugt. Diese Anbieter gaben Einblicke in ihre BU-Leistungspraxis: Allianz, Alte Leipziger, Axa, Continentale, Deutsche Ärzteversicherung, Dialog, DBV, Ergo, Generali, Gothaer, HDI, Münchener Verein, Nürnberger, Signal Iduna, Stuttgarter und Zurich.
Vom Eingang des Antrags auf BU-Leistungen bis zur Entscheidung vergehen ungefähr sechs Monate. In der aktuellen Erhebung mit Daten von 2023 dauerte es mit insgesamt 190 Tagen etwas länger. Für Ablehnungen nehmen sich Versicherer mehr Zeit (197 Tage) als für eine positive Entscheidung (179 Tage), registrierte FuB. Bei psychischen Erkrankungen und bei Unfällen sei der Zeitbedarf besonders hoch, weil Regulierer oft auf ärztliche Gutachten oder Berichte von Polizei und Staatsanwaltschaft warten müssten. Vergleichsweise schnell fällt die Entscheidung bei Krebs.
Altersunterschiede je nach Krankheit
Auffällig: Während psychische Krankheiten oder ein Unfall schon in jungen Jahren zum Aus im Job führen können, machen Krankheiten des Kreislaufs eher im fortgeschrittenen Alter berufsunfähig. Besonders häufig wird die BU-Rente zwischen dem 49. und 59. Lebensjahr bewilligt. Bei jungen Erwachsenen liege die Ablehnungsquote besonders hoch. Die Hälfte aller Ablehnungen erfolgt bis zum Alter 35 – wegen Verstoßes gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht.
Übrigens: Die teilnehmenden Versicherer zahlen jede zweite BU-Rente bis zum Ende der vertraglichen Leistungsdauer. Für rund 30 Prozent der Versicherten endet die Leistung schon vor Vertragsablauf, weil sich ihr Gesundheitszustand verbessert hat. Nur drei von hundert Leistungsempfängern werden auf eine Tätigkeit verwiesen, die dem Gesundheitszustand und dem erreichten Status entspricht.
Die Verweisung auf eine andere Tätigkeit spielt dagegen in der Praxis kaum eine Rolle. "Als Ablehnungsgrund sind Verweisungen nur in homöopathischen Dosen nachweisbar", sagt Franke. Auch die Forderung nach Umorganisation des Unternehmens führe in weniger als 0,16 Prozent der Fälle zu einer Ablehnung. In der Summe seien Verweisung und Umorganisation bei den teilnehmenden Gesellschaften für weniger als ein Prozent aller Ablehnungen verantwortlich – siehe auch folgende Grafik.
Quelle: Franke und Bornberg
Erfolgsfaktoren für schnellere Regulierung
Fachkräftemangel verhindert kürzere Bearbeitungsdauern, trotz einiger Fortschritte bei den Arbeitsabläufen, so das Analysehaus. Der Markt für BU-Schadenregulierer sei leergefegt. Für schnelle BU-Regulierung setzten die Versicherer auf veränderte Abläufe. Dazu zählen aktive telefonische Kontakte zum Kunden ebenso wie Hilfen beim Ausfüllen des Fragebogens für die BU-Leistung.
Allein für das Formular benötigten Versicherte bislang durchschnittlich 35 bis 45 Tage. Auch die systematische Kategorisierung von Leistungsfällen durch die Versicherer, die von spezialisierten Teams bearbeitet werden, zeige positive Ergebnisse. Digitale Tracking-Systeme für Versicherte und Sachbearbeiter beschleunigten die Leistungsbearbeitung ebenfalls, so die Studie.
Weiter kaum KI im Einsatz
"Eine KI-generierte Entscheidung von BU-Leistungsfällen können sich die Verantwortlichen bislang nicht vorstellen", so Philipp Wedekind, Leiter Ratings Vorsorge und Nachhaltigkeit bei FuB. Dass eine KI über ihre Leistung entscheide, sei auch für viele Kunden nur schwer vermittelbar. Hinzu kämen hohe Hürden beim Datenschutz.
Durchschnittlich wird die BU-Leistung 6,8 Jahre bezahlt (Vorjahr: 6,2 Jahre), maßgeblich beeinflusst durch das oft hohe BU-Eintrittsalter (in der Spitze mit 59 Jahren). Eine durchschnittliche Rentenhöhe bei den Teilnehmer-Gesellschaften wurde diesmal nicht ermittelt (Vorjahr: 1.225 Euro pro Monat). Die Bewertungsrichtlinien sind kostenlos im Internet einsehbar (externer Link). Kürzlich hatte FuB sowohl sein BU-Produktrating aktualisiert als auch im Map-Report das neue Stabilitätsrating der BU-Versicherer vorgelegt, das einen detaillierten Einblick in die finanzielle Stabilität und Risikopolitik der Anbieter gewährt. (dpo)