Betriebsschließungspolicen: Versicherer greifen in die Trickkiste
Bei einem coronabedingt angeordneten Geschäftsstillstand wollen die meisten Versicherer weiter nur einen Teil der vereinbarten Leistung zahlen – und versuchen derzeit, mit neuen Tricks ihre Interessen durchzusetzen.
Die meisten Versicherer wollen den vereinbarten Versicherungsschutz im Fall einer erzwungenen Betriebsschließung (BSV) nicht bei Pandemien angewendet wissen. Gezahlt wird nur, wenn die zuständige Behörde den konkreten Betrieb wegen Corona-Fällen geschlossen hat und/oder Covid-19 als ganz neue Erkrankung in den AVB aufgelistet ist (FONDS professionell ONLINE berichtete).
Mehrere Versicherer hatten allerdings einem Kompromiss zugestimmt: Sie zahlen freiwillig zwischen zehn und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze (FONDS professionell ONLINE berichtete). Diverse Gesellschaften sind der Bayerischen Lösung inzwischen beigetreten, darunter die Haftpflichtkasse (HK), Mannheimer, Continentale und Württembergische. Doch ursprünglich hatte einige Anbieter volle BSV-Deckung gegeben – und versuchen, sich nun fintenreich aus der Affäre zu ziehen.
Nachträgliche Änderung der Deckungsnote?
Beispiel Württembergische Versicherung: Sie will durch nachträgliche Änderungen in den Versicherungsscheinen coronabedingte Betriebsschließungen in bestehenden Policen auszuschließen, beobachtet die Kanzlei Wilhelm Rechtsanwälte aus Düsseldorf. Während der Versicherungsbaustein "Betriebsschließungsversicherung" noch bis mindestens Anfang April bei der Württembergischen schlicht "Betriebsschließung" hieß, lautet er in aktuellen Nachträgen mittlerweile "Betriebsschließung nach einer behördlichen Einzelverfügung zur Vermeidung einer Ausbreitung der in den Bedingungen aufgezählten, im versicherten Betrieb aufgetretenen Krankheiten und Krankheitserreger".
Die Änderung in den Bandwurmsatz verwundert, da der Versicherer in einem Ablehnungsschreiben zur BSV-Leistung die "größtmögliche Transparenz" seiner Bedingungen rühmt. "In den AVB der Württembergischen ist im Gegensatz zu den aktuellen Nachträgen keine Rede von einer 'Einzelverfügung", kritisiert Mark Wilhelm, Managing Partner bei Wilhelm Rechtsanwälte. Ebenso wenig davon, dass die Krankheiten oder Erreger im versicherten Betrieb auftreten müssen. Die Liste der versicherten Krankheiten und Erreger verweist auf das Infektionsschutzgesetz und muss dadurch auch neue meldepflichtige Erreger wie das Corona-Virus umfassen.
AVB vorgeblich nicht geändert
"Die Württembergische versucht offenbar, nachträglich zu kitten, was bei der ursprünglichen Gestaltung der AVB misslungen ist", resümiert Wilhelm. Er rät Versicherungsmaklern, aktuelle Nachträge zu Versicherungsscheinen sorgfältig zu prüfen. Gegenüber FONDS professionell (Ausgabe 2/2020) hatte Thomas Bischof, Versicherungsvorstand im W&W-Konzern, erklärt, dass für ihn die öffentliche Hand bei den Schließungen in der Verantwortung steht. Grund: Versicherungszweck der BSV sei der Ersatz bei Schließung infolge von Verseuchung und nicht bei behördlich angeordneter Unterbrechung von Infektionsketten.
Das steht so aber nicht in den AVB. Dennoch bestätigt das Unternehmen in einer neuerlichen Stellungnahme gegenüber FONDS professionell ONLINE: Die Erklärung aus dem Mai gilt weiter. Zusätzlich merkt eine Sprecherin an, dass die "AVB in der BSV nicht geändert wurden". Ab dem 21. April 2020 sollten lediglich potentielle Neukunden informiert worden sein. "Durch einen Fehler in der Datenverarbeitung erhielten leider auch Bestandskunden den erweiterten BSV-Text zugesandt, wenn sie etwa im Rahmen ihrer Firmenpolice Änderungen auch an anderen Bausteinen vorgenommen haben", so die Sprecherin weiter. Der Fehler sei "für alle betroffenen Verträge umgehend behoben und die entsprechenden Textfassungen wieder auf den bisherigen Wortlaut umgestellt".
Kündigung, wenn nicht in Kompromiss eingewilligt wird
"In den meisten AVB, auch bei der Württembergischen, steht aber gar nicht, dass die behördliche Anordnung sich unmittelbar an das betroffene Unternehmen richten muss", weiß Tobias Strübing, Partner der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte. Daher seine dringende Empfehlung, "Ablehnungen und Abfindungsangebote nicht ungeprüft hinzunehmen", so der Fachanwalt für Versicherungsrecht.
Das gelte erst recht, wenn Anbieter BSV-Kunden ohne jede Debatte zur Bayerischen Lösung zwingen wollen. Solcherlei praktiziert gerade die Mannheimer Versicherung und auch die Continentale Sachversicherung, die beide zum Versicherungsverbund Continentale gehören. Der Kniff: Kunden, die den Vergleich nicht annehmen, wird außerordentlich gekündigt (nach Paragraf 92 Absatz 1 VVG). Diese Vorschrift lässt eine außerordentliche Kündigung nur bei Eintritt des Versicherungsfalls zu. Genau das bestreiten die am Kompromiss beteiligten Versicherer jedoch.
Die meisten Vergleiche seien ohnehin unwirksam, meint Strübing. Kunden könnten weiterhin die volle Leistung verlangen. Ein Argument: Versicherer seien verpflichtet, gegenüber ihren Kunden stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse zu handeln (nach Paragraf 1a Absatz 1 VVG). "Das ist hier nicht zu erkennen", so Strübing.