Juristen: Am Kompromiss bei Betriebsschließungs-Policen ist was faul
Diverse Versicherer deuten den "Bayerischen Kompromiss" so, als hätten Kunden keinen Anspruch auf BSV-Leistungen bei Corona-bedingten Betriebsschließungen. "Nix da!", erklären Fachleute. Ein Gutachten spricht sogar von strafrechtlichen Konsequenzen.
Einige Versicherer wollen den vereinbarten Schutz bei Betriebsschließungsversicherungen (BSV) nach wie vor nicht für den Fall von Pandemien angewendet wissen. Schon im ersten großen Lockdown während des Frühjahrs 2020 sorgte das für Empörung bei Kunden und natürlich aufseiten der Makler, die diese Policen einst vermittelt haben. Mehrere Anbieter waren deshalb einem auf Initiative des bayerischen Wirtschaftsministeriums gefundenen "Friedensangebot" beigetreten. Der Kern: Sie zahlen freiwillig zwischen zehn und 15 Prozent der für den Fall von Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze. Doch die Fronten blieben verhärtet: Die "Bayerischer Kompromiss" genannte Vergleichslösung war von Beginn an umstritten und von diversen Anwaltskanzleien als unwirksam bezeichnet worden.
Inzwischen gibt es auch ein erstes Urteil: Der von einem Gastwirt angenommene Vergleich sei wirksam und nicht mehr anfechtbar, entschied das Landgericht Flensburg mit Urteil vom 17. Dezember 2020 (Az.: 4 O 143/20). Allerdings ist es nicht rechtskräftig, sondern liegt zur Berufung beim Schleswig-Holsteinischen OLG (Az.: 16 U 1/21).
Zivilrechtliches Gutachten: Treuwidriges Verhalten
Ein kürzlich publiziertes Rechtsgutachten von Professor Hans-Peter Schwintowski, der Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Europarecht an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt, hält den Bayerischen Kompromiss generell für unwirksam. "Der Vergleich ist nicht redlich, nicht ehrlich und nicht im bestmöglichen Interesse der Versicherungsnehmer", heißt es in einem Gutachten, das vorerst von der Hamburger Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte (dort ist Schwintowski in beratender Funktion tätig) unter Verschluss gehalten wird.
Schwintowskis Fazit lässt kaum interpretatorische Freiräume: "Der Versicherer handelt treuwidrig, wenn er bei einer BSV nicht auf die völlig unklare Rechtslage und die strittigen Punkte hinsichtlich des Deckungsschutzes hinweist", sagt der Rechtsprofessor. Dazu verweist er auch auf einen BGH-Beschluss vom 15. Februar 2017. Demnach handelt ein Versicherer treuwidrig, wenn er seine überlegende Sach- und Rechtskenntnis zum Nachteil des Versicherungsnehmers ausnutzt (Az.: IV ZR 280/15).
"Wäre die Bayerische Lösung nicht eingetreten, so hätten die Versicherer an die Kunden eine Kulanzleistung in Höhe von 15 Prozent gezahlt und die Möglichkeit eröffnet, wegen der verbleibenden Differenz möglicherweise den Rechtsweg zu suchen", unterstreicht Schwintowski. Genau diese Möglichkeit hätten die Kunden. Nach seiner Rechtsauffassung und der Kanzlei Michaelis müssten Betroffene die 15 Prozent Leistung zudem nicht zurückzahlen.
Strafrechtsgutachten spricht von "versuchtem Betrug"
In einer weiteren Expertise, die ebenfalls über die Kanzlei Michaelis angestoßen wurde, kommt Christian Becker, Strafrechtsprofessor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), zu dem Schluss, dass der Bayerische Kompromiss sogar strafrechtliche Konsequenzen haben könnte. Zumindest seien die objektiven Voraussetzungen einer Täuschung im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestandes (nach Paragraf 263 StGB) erfüllt, wenn Versicherer die ungeklärte Rechtslage im Zusammenhang mit der BSV als eindeutig zu ihren Gunsten darstellen.
"Daher kommt eine Strafbarkeit wegen eines zumindest versuchten Betrugs in Betracht", heißt es in Beckers Ausarbeitung, die der Redaktion vorliegt. Darin werden auch die Ablehnungsgründe verschiedener Versicherer aufgezählt, über die FONDS professionell ONLINE in den letzten zwölf Monaten immer wieder kritisch berichtet hatte.
Ablehnungsschreiben im Fokus
Becker untersucht diese Ablehnungsschreiben abstrakt darauf, ob damit die Voraussetzungen eines gegebenenfalls versuchten Betruges vorliegen könnten. Objektiv zeichne sich Betrug durch vier Merkmale aus, zwischen denen ein durchgängiger Ursachenzusammenhang bestehen muss: Täuschung über Tatsachen, Irrtum, Vermögensverfügung und Vermögensschaden.
Zur Täuschung führt der Strafrechtsprofessor aus: "Die in den Aussagen kategorisch und eindeutig dargestellte Rechtslage war und ist in Wahrheit ungeklärt. Das hätte im Rahmen einer redlichen und interessengerechten Kommunikation zum Ausdruck gebracht werden müssen. Somit liegt eine unwahre Tatsachenbehauptung … vor." Zur Vermögensverfügung heißt es im Gutachten sinngemäß: Wenn wegen der Täuschung Ansprüche aus der BSV nicht geltend gemacht werden, komme eine Vermögensverfügung durch den Versicherer in Betracht.
Bei Betrug bestünde Anspruch auf Schadenersatz
Ein Vermögensschaden im Sinne des Betrugstatbestandes tritt laut Becker ein, wenn die qua Vermögensverfügung bewirkte Minderung des Vermögens nicht durch eine unmittelbare Kompensation ausgeglichen wird, so dass beim Kunden ein Vermögensverlust eintritt. Sofern Kunden aufgrund der Anschreiben tatsächlich bestehende Leistungsansprüchen nicht geltend machen, liege keine Kompensation für die Vermögensminderung vor.
Die Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte "schließt sich der Rechtsauffassung von Professor Becker zur Strafbarkeit vollumfänglich an", so Stephan Michaelis gegenüber FONDS professionell ONLINE. Falls die Voraussetzungen für Betrug erfüllt seien, "bestehen daher zudem Schadenersatzansprüche der Geschädigten" (nach Paragraf 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit Paragraf 263 StGB). (dpo)