Kompromiss zu Betriebsschließungspolicen: "Das ist abstoßend"
Das Coronavirus führt immer öfter zu behördlich angeordneten Betriebsschließungen auf Zeit. Versicherer haben ihre Blockadehaltung zwar gelockert, doch der Kompromiss ist keine wirklich gute Lösung. Maklerverbände wollen genauer hinsehen.
Die Ereignisse der letzten Tage zeigten Gastronomen und Hoteliers, dass die meisten Versicherer den ohnehin nur selten abgeschlossenen Versicherungsschutz bei Betriebsschließung wegen Infektionsgefahr (BSV) zunächst nicht für den Fall von Pandemien angewendet wissen wollten. Auch viele große Versicherer hätten am liebsten nichts gezahlt (FONDS professionell ONLINE berichtete).
Doch in ihrer Not machten Dehoga-Betriebe politischen Druck vor allem in Bayern. Daraufhin hatte das Bayerische Wirtschaftsministerium zusammen mit den Branchenverbänden Dehoga Bayern und Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft sowie den Versicherern Versicherungskammer Bayern, Allianz und Haftpflichtkasse einen Kompromiss ausgehandelt: Die Versicherer zahlen freiwillig zwischen 10 und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze. Das sei ungefähr die Hälfte der Einbußen, die durch staatliche Unterstützung wie Kurzarbeitergeld und Soforthilfen aus Bund und Ländern, die rund 70 Prozent der Einbußen wettmachen würden, nicht gedeckt sei (FONDS professionell ONLINE berichtete).
Kompromiss mit Fragezeichen
Die Versicherer wollen gemeinsam einen dreistelligen Millionenbetrag zur Verfügung stellen. Mehrere Gesellschaften sind dem Kompromiss inzwischen beigetreten, darunter R+V, Zurich, Axa und Nürnberger. Die meisten wollen nicht nur Betriebe in Bayern auf diese Weise entlasten, sondern bundesweit. Generali hat für Deutschland einen Nothilfefonds in Höhe von 30 Millionen Euro eingerichtet, mit Schwerpunkt auf Restaurants und Hotels sowie junge Geschäftspartner, die von Sperrmaßnahmen betroffen sind. Zahlreiche andere Versicherer halten sich jedoch immer noch bedeckt beziehungsweise bleiben bei ihrer Ablehnung des Versicherungsschutzes.
Nur wenige Anbieter erstatten bei Vorliegen einer BSV den schließungsbedingten Ausfallschaden ohne Gegenwehr voll, darunter Barmenia, Münchener Verein, Signal Iduna und HDI. "Die Regulierung zahlreicher Schadenfälle, darunter viele Gaststätten und Bars, hat bereits begonnen", sagt Christoph Wetzel, Vorstandschef der HDI Versicherung. Der HDI ist zusätzlich dem bayerischen Kompromiss beigetreten, um auch die versicherten Hotels mit 15 Prozent zu entschädigen, die in der Regel nicht aufgrund behördlicher Anordnung schließen mussten.
Unterm Strich kommt die Assekuranz wohl sehr viel billiger aus der Sache heraus, wenn Betroffene sich auf den Kompromiss einlassen statt zu klagen. Die Branche weiß ganz genau, dass viele Firmenkunden einen jahrelangen Rechtsstreit nicht durchstehen würden. "Das ist abstoßend", schreibt der Maklerpool Invers in einer Pressemeldung. Man habe Schutz in einer Ausnahmesituation versprochen und dafür Beiträge kassiert. "Zahlt sofort wenigstens einen Abschlag von mindestens 50 Prozent des grob geschätzten Schadens, damit die Betriebe überleben können, und ermittelt erst danach den genauen Schaden", fordert der Pool von den Anbietern, die gar nicht oder nur 15 Prozent zahlen wollen. Invers begleite bereits einen entsprechenden Musterfall. Man wolle, dass die betreffende Firma nicht mit 15 Prozent der Versicherungssumme abgespeist wird.
Verbände wollen weiter genauer hinsehen
Der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW begrüßt das Bemühen um einen Kompromiss auch wegen der Versicherungsvermittler, "die im guten Glauben, umfassenden Versicherungsschutz vermittelt zu haben, ebenfalls in erheblicher Erklärungsnot ihren Kunden gegenüber gekommen sind". Kritisch wird jedoch gesehen, dass es sich bisher gerade nicht um eine Initiative der gesamten Versicherungswirtschaft handelt und viele namhafte Versicherer bisher auch nicht mitgezogen haben. "Wir hoffen, dass die gefundene Lösung tatsächlich bundesweit und branchenübergreifend Akzeptanz findet", sagt Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW. Gleichwohl betont der Verband, dass betroffene Versicherungskunden an diese Regelung nicht gebunden seien und es ihnen weiter freisteht, auf der versicherten Entschädigung zu bestehen.
"Es kommt Bewegung in die Sache", urteilt auch der Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM). Er hatte in den vergangenen Tagen bei mehreren großen Versicherern faires Regulierungsverhalten angemahnt und über den GDV einen Solidaritätsfonds von 200 Millionen Euro angeregt. Die bayerische Lösung ist dem BDVM nicht ganz geheuer. Daher fragt er seine Mitglieds-Maklerfirmen aktuell, welche weitere Entlastung bei den Firmenkunden tatsächlich nach den Staatshilfen nötig ist. Man will offenbar die aktuelle Lösung auf ihren Realitätsgehalt prüfen und ermitteln, ob auch anderen Branchen geholfen werden kann.
Arbeitsagentur torpediert Bayern-Kompromiss
Inzwischen wackelt die 70-Prozent-Lösung bedenklich. In aktuellen Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit wird nämlich betroffenen Unternehmen zumindest in Augsburg mitgeteilt, dass die Gewährung von Kurzarbeiterentgelt nicht möglich ist, wenn eine BSV vorliegt. Die Kanzlei Wirth Rechtsanwälte empfiehlt daher insbesondere bei Vergleichsangeboten – auch denen basierend auf dem Bayern-Kompromiss – genau zu prüfen, ob ein solcher Vergleich negativen Einfluss auf staatliche Leistungen haben könnte.
Bisher war in Vergleichsangeboten davon ausgegangen worden, dass der Staat den Großteil der wirtschaftlichen Ausfälle übernimmt, vor allem durch Kurzarbeiterentgelt. Nun schießt die Bundesagentur für Arbeit quer. Setzt sich deren Rechtsauffassung durch, "dürfte die von den Verhandlungspartnern in Bayern zugrunde gelegte Annahme mit den 70 Prozent Schadenübernahme durch den Staat kaum haltbar und die angebotenen 10 bis 15 Prozent der Versicherer schwerlich interessengerecht sein", sagt Tobias Strübing, Fachanwalt für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Wirth. "Hier beißt sich die Katze sprichwörtlich in den Schwanz." Während die Bundesagentur für Arbeit die Gewährung von Kurzarbeitergeld davon abhängig mache, dass kein Versicherungsschutz besteht, hätten viele Versicherer in ihren Bedingungen geregelt, dass Entschädigungsleistungen anzurechnen seien. "Zudem ist eben auch Grundannahme des Bayern-Kompromisses die Anrechnung", betont Strübing.
Fachanwälte legen weiter Finger in die Wunde
Jeder Einzelfall sollte rechtlich nachgeprüft werden, raten daher mehrere Anwaltskanzleien. Das "Friss oder stirb!"-Angebot der Versicherer erschwere die Durchsetzung rechtmäßiger Ansprüche, moniert die Düsseldorfer Sozietät Wilhelm. Zudem seien Tagessätze auf Basis von Summenversicherungen schwerlich mit einem imaginären Prozentsatz an Staatshilfe zu verrechnen.
Versicherungsschutz genießen auch Gastronomen, die derzeit einen Liefer- oder Abholservice anbieten, meint Strübing. Viele Betriebe würden einen solchen Take-away-Service schließlich nur anbieten, weil sie den Unterbrechungsschaden so weit wie möglich mindern wollten. "Gerade die Gastronomen, die zuvor einen solchen Service überhaupt nicht angeboten hatten, dürften ebenfalls Versicherungsschutz haben", so Strübing. Hier könne schwerlich die Rede davon sein, dass nur eine Teilschließung vorliegt, da die Betroffenen damit nur ihrer versicherungsvertraglich vereinbarten Schadensminderungspflicht nachkämen. (dpo)