Die private Krankenversicherung (PKV) kommt im neuen Koalitionsvertrag (externer Link) von Schwarz-Rot gar nicht vor, ebenso wenig wie der Begriff Bürgerversicherung. Demnach könnte die PKV-Branche vorläufig aufatmen, denn die neue Regierung wird sich wohl nicht mit der Abschaffung des dualen Gesundheitssystems beschäftigen. Dennoch gibt es nicht nur extremen Handlungsbedarf bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), mit dem sich die Koalition allerdings erst 2027 näher befassen will.

"Auch die PKV hat grundlegenden Reformbedarf", sagt Claus-Dieter Gorr, geschäftsführender Gesellschafter von Premium Circle Deutschland, ein Beratungsunternehmen für die Gesundheits- und Versicherungswirtschaft, das auch über ein weit verzweigtes Maklernetzwerk verfügt. Dabei gehe es vor allem um die Bereiche Tarifgestaltung, Leistungsverhalten und Vertriebstransparenz. Kürzlich hatte der Berater bereits die Willkür beim Krankentagegeld moniert.

Tarifwerke selbst für Experten kaum zu verstehen
Zur Tarifgestaltung: "Die PKV-Tarifwelt differenziert sich nach unserer AVB-Analyse aktuell in 1.900 Leistungsaussagen", hat Gorr beobachtet. Das dreigliedrige Vertragswerk mit in sich wiederkehrenden Ein- und Ausschlüssen sei selbst für Experten schwer zu durchdringen. Selbst unter den jeweiligen PKV-Top-Tarifen gebe es ein immenses Leistungsgefälle mit teilweise existenziellen Leistungslücken. Darüber hinaus habe bis heute kein einziger PKV-Tarif als Basis die GKV-Leistungen (nach SGB V), vor allem nicht der PKV-Basistarif.

Premium Circle fordert daher eine Reform des Paragrafen 193 VVG, der bislang lediglich pauschal die Bereitstellung von ambulanten und stationären Leistungen fordert. "Wir brauchen einen rechtsverbindlichen brancheneinheitlichen Leistungskatalog als Basis für jeden PKV-Vertrag", präzisiert Gorr. Ebenso sei eine einheitliche transparente Darstellung über die jeweils bereitgestellten vertraglichen Leistungen nötig.

Mögliche Willkür zur Entscheidung medizinischer Notwendigkeit
Zum Leistungsverhalten: Über allen vertraglich zugesicherten Leistungsaussagen der PKV schwebe im Erstattungsprozess für die Kunden der Vorbehalt der medizinischen Notwendigkeit. "Für PKV-Versicherte ist zwar der Zugang zur Hochleistungsmedizin faktisch gegeben, aber die Beurteilung einer Leistungserstattung obliegt unternehmensindividuell den Sachbearbeitern", erklärt Gorr. Zum Zusammenhang von Leistungsverhalten und der Qualifikation der Sachbearbeiter gebe es bislang keine Datenlage.

Premium Circle fordert eine Reform der für alle PKV-Unternehmen geltenden Bedingungen (MB/KK 2009). "Die mögliche Willkür im Umgang mit der Prüfung ärztlicher Verordnungen oder durchgeführter Behandlungen muss in den AVB so verändert werden, dass in strittigen Fällen ein zeitnah eingeleitetes Gutachtenverfahren für beide Seiten als verbindliche Leistungsregulierungsgrundlage gilt", betont Gorr.

Marketing und Vertrieb auf mehr Realismus trimmen
Zur Vertriebstransparenz: Das allgemeine PKV-Marketing von Versicherern und Vermittlern verspricht schnelle Termine und bessere Leistungen. "Die Vermittler werden immer noch durch Siegel, Ratings, simple Produktvergleiche auf der Makroebene und unternehmenseigene Vertriebsshows gelenkt", kritisiert Gorr. Es gebe nur wenige Akteure, die quellenbasiert qualifizierte Weiterbildung zu Leistungsinhalten und -unterschieden anbieten.

Premium Circle fordert eine gesetzlich verpflichtende Zusatzqualifizierung und auch eine spezielle Zulassung zur beratungsintensiven PKV-Sparte. "Gleiches muss – gerade bei leistungsschwachen Tarifen – auch für die Beratungsdokumentation gelten", so Gorr weiter. Das ganze Qualifikations- und Marketingsystem müsse neu strukturiert und transparent geordnet werden. Zudem sei eine Norm für Siegel und Ratings unumgänglich. Apropos Rating: Anfang des Jahres stellte ein Rating die "Zunahme der sogenannten Premiumtarife fest, obwohl sich die Tarife der Branche schon zuvor größtenteils durch ein hohes Bedingungsniveau ausgezeichnet hätten".

Beste PKV-Tarife nicht gut genug?
In einer Studie hatte Premium Circle Mitte März 2025 einen Leistungsvergleich zwischen PKV-Vollkostentarifen und der GKV versucht und dabei die Erfüllung der 107 von Premium Circle definierten Mindest-Leistungskriterien zugrunde gelegt, die eine Krankenversicherung mindestens erfüllen sollte. Dabei wurden nur die vertraglich garantierten Leistungen der jeweils leistungsstärksten PKV-Vollkostentarife jedes PKV-Versicherers mit dem aktuellen GKV-Leistungskatalog verglichen.

Ergebnis: Obwohl sich beide Systeme aufgrund ihrer Ungleichheit nur bedingt vergleichen lassen, fällt das Resultat überraschend aus. Demnach hat kein einziger PKV-Tarif alle 104 Mindest-Leistungskriterien der GKV erfüllt. Die Bandbreite der PKV-Tarife liege zwischen 48 und 99 erfüllten Kriterien. Besonders auffällig seien erhebliche Defizite in den Bereichen Psychotherapie, Anschlussheilbehandlung, Reha und Kur, Krankenpflege und Palliativversorgung sowie Prävention. Wichtige Recherchehilfe für Makler auf der Suche nach Vollversicherungstarifen für Neukunden: In der Studie werden die Namen der Versicherer mit ihren Defiziten in den jeweiligen Bereichen konkret genannt.

Schnelles Umdenken nötig
Diese alarmierende Situation erfordere ein schnelles Umdenken. Premium Circle hat nach eigener Aussage seit 2002 mit über 800 Veranstaltungen für mehr als 40.000 teilnehmende Vermittler und der laufenden operativen Unterstützung engagierter Versicherer bei Tarifentwicklungen einiges in Richtung Transparenz, Verbindlichkeit und Qualität bewegt.

Der PKV-Verband wollte in einer Reaktion auf die Studie "die Behauptungen und Vermutungen nicht nachvollziehen". Es gebe keinen Trend zur Leistungskürzung. Dies hatte die Studie jedoch gar nicht thematisiert. Dennoch rät Juliane Winter, Rechtsanwältin für Medizinrecht, Privatversicherten zum Abschluss einer Rechtsschutzversicherung. "Ohne Rechtsbeistand kommen viele Privatversicherte nicht weiter", so die Juristin gegenüber dem Magazin "Der Spiegel". (dpo)


Die 118-seitige Kurzstudie von Premium Circle kann hier (externer Link) für 49,99 Euro plus Versandkosten bestellt werden.