Rechtsexperte: "Eigentlich bräuchte es keine Generalklausel"
Mark Wilhelm, Gründer und Managing Partner der Kanzlei Wilhelm Rechtsanwälte sowie Fachanwalt für Versicherungsrecht, erläutert im Interview die umstrittenen Generalklausel in der Sachversicherung und die Folgen eines dazu kürzlich ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs.
Mark Wilhelm ist Gründer und Managing Partner der Kanzlei Wilhelm Rechtsanwälte mit Sitz in Düsseldorf sowie Fachanwalt für Versicherungsrecht. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE erläutert der Jurist die sogenannten Generalklausel, die sich den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vieler Sachversicherungen findet. Wilhelm erklärt, warum die Klausel in der Fachwelt unterschiedlich gesehen wird, und was ein neues Urteil des Bundesgerichtshof dazu für Versicherer, Versicherte und Berater bedeutet.
Herr Wilhelm, als Anwalt haben Sie zahlreiche Firmenkunden bei der Interessenvertretung in Schadenfällen unterstützt, gerade auch bei Betriebsschließungsversicherungen während der Corona-Pandemie. Was konnten Sie da trotz eines letztlich ernüchternden Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) erreichen?
Wilhelm: Das BGH-Urteil hat damals für viele versicherte Betriebe die Chancen gesenkt, Ansprüche durchzusetzen. Doch es betraf bei weitem nicht alle Versicherungsnehmer, denn die Verträge waren individuell. Dadurch konnten wir für viele unserer Mandanten zufriedenstellende außergerichtliche Vergleiche erzielen. Das Gesamtfazit ist also durchaus positiv.
Kürzlich hat der BGH erneut ein vermeintlich Versicherer-freundliches Urteil gefällt, diesmal zur sogenannten Generalklausel, die sich in zahlreichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen, kurz AVB, von Sachversicherungen findet. Worum geht es bei dieser Klausel?
Wilhelm: In dem neuen Urteil ging es um eine Klausel, die dem Versicherungsnehmer auferlegt, alle für ihn relevanten Sicherheitsvorschriften zu beachten, also gesetzliche und behördliche sowie auch vertragliche Vorschriften. Die Klausel ist Standard in den meisten Sachversicherungsverträgen, etwa der Gebäude-, Feuer- und Betriebsunterbrechungsversicherung. Betroffen sind somit vom Eigenheimbesitzer bis zum Großkonzern sehr viele Kunden. Das Problem an der Klausel ist, dass sie pauschal und weitgefasst ist. Das lädt manche Versicherer dazu ein, im Schadenfall so lange nach einer Vorschrift zu suchen, bis sie irgendetwas finden, was verletzt sein könnte. So sehen wir den Vorwurf, der Versicherungsnehmer habe eine DIN-Norm nicht beachtet, die Betriebsanleitung einer Maschine nicht befolgt oder gegen Arbeitsschutzvorschriften verstoßen. Das sind dann Vorschriften, die entweder mit der versicherten Sache eigentlich gar nichts zu tun haben oder überhaupt keinen gesetzlichen oder behördlichen Charakter haben.
Und was hat der BGH dazu im Urteil vom 25. September 2024 entschieden (Az.: IV ZR 350/22)?
Wilhelm: Viele Juristen sahen die Generalklausel kritisch. Klauseln, die dem Versicherungsnehmer ein bestimmtes Verhalten auferlegen, sollten transparent sein. Weiß der Versicherungsnehmer wirklich, was er zu tun hat, wenn er die Klausel liest? Ich habe da weiterhin meine Zweifel. Andererseits kann man nachvollziehen, dass Versicherer nicht alle für den jeweiligen Versicherungsnehmer relevanten Vorschriften im Vertrag aufzählen können. Bei Industrieunternehmen sind das schnell hunderte Vorschriften plus behördliche Auflagen, die der Versicherer gar nicht kennt. Der BGH befand daher, dass es ausreichend ist, wenn der Versicherer pauschal verweist und den Versicherungsnehmer damit in die Pflicht nimmt.
Also insgesamt ein einseitig gutes Urteil für die Versicherer?
Wilhelm: Nicht unbedingt, denn die Karlsruher Richter nahmen auch eine wichtige Klarstellung im Sinne der Versicherungsnehmer vor: Von der Klausel erfasst sind erstens nur staatlich erlassene Vorschriften, was etwa Leitlinien von Verbänden ausschließt. Und zweitens nur solche Vorschriften, die das versicherte Risiko schützen sollen, also etwa im Fall einer Gebäudeversicherung nur Vorschriften, die den Schutz des Gebäudes zum Ziel haben, wie Brandschutzvorschriften, nicht aber Unfallverhütungsgesetze oder ähnliches.
Liegen denn die näheren Entscheidungsgründe für dieses Urteil inzwischen vor? Und was ist die wichtigste Begründung dafür, dass der Versicherte sämtliche Sicherheitsvorschriften kennen und beachten muss, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden?
Wilhelm: Das Urteil liegt mittlerweile vor und in einem zentralen Punkt hat der BGH recht: Der Versicherungsnehmer muss die für ihn relevanten Vorschriften ohnehin kennen und einhalten. Den Entscheidungsträgern versicherter Unternehmen ist deshalb dringend zu raten, die für sie einschlägigen gesetzlichen und behördlichen Vorschriften zentral zu erfassen und ihre Einhaltung regelmäßig zu kontrollieren. Andernfalls liegt ein sogenanntes Organisationsverschulden des Managements vor. Die Geschäftsführer haften dann persönlich für den Teil des Schadens, den der Versicherer nicht zahlt.
Das klingt auf den ersten Blick nach einem Freibrief für die Versicherer zur Leistungsverweigerung. Was raten Sie der versicherungsnehmenden Wirtschaft?
Wilhelm: Ist der Schaden bereits eingetreten und der Versicherer wirft dem Kunden die Verletzung einer Vorschrift vor, muss das nicht zwingend den Verlust des Versicherungsschutzes bedeuten. Entscheidend ist die Frage: Hat sich die Verletzung überhaupt ausgewirkt? Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Verletzung der Vorschrift und dem Eintritt des Versicherungsfalls? Leider ist der Versicherungsnehmer selbst in der Pflicht zu beweisen, dass ein solcher, kausaler Zusammenhang fehlt. Dieser sogenannte Kausalitätsgegenbeweis ist nicht leicht zu führen – aber möglich. Im Zweifel kann da ein versierter Anwalt helfen.
Nach dem Urteil scheint vieles weiter im juristischen Nebel zu stecken, statt mehr Transparenz zu schaffen. Der Zwang, als Versicherter auch unbestimmte und vertragsfremde Sicherheitsvorschriften beachten zu müssen, klingt etwas weltfremd.
Wilhelm: Die Transparenz der Klausel schien dem BGH ausreichend, auch wenn es berechtigte Bedenken gab. Grundsätzlich ist es nicht falsch, dass Versicherungsnehmer gesetzliche Vorschriften einhalten müssen. Die Frage ist, wie weit der Versicherer daraus eigene Rechte ableiten darf. Hier wird es nun viele gerichtliche Einzelfallentscheidungen benötigen.
Der Fall mit dem Dachbrand durch einen Pizzaofen wurden vom BGH an das OLG Celle zur Prüfung weiterer Umstände zurückverwiesen. Gab es da schon ein Ergebnis?
Wilhelm: Darüber haben wir keine Erkenntnis. Oft dauert es einige Zeit, bis ein zurückverwiesener Fall weiterverhandelt wird.
Wie ist die generelle Verfahrensweise bei einer Zurückverweisung? Entscheidet das OLG dann endgültig oder arbeitet es dem BGH dann zu und der entscheidet?
Wilhelm: Üblicherweise ist das OLG die letzte Instanz. Der BGH prüft, wenn überhaupt, nur noch, ob die vorangegangene Entscheidung verfahrens- oder rechtsfehlerhaft war. Im vorliegenden Fall war das OLG Celle nach Ansicht des BGH rechtsfehlerhaft zur Annahme gekommen, dass die Generalklausel intransparent und damit unwirksam sei. Mit der Klarstellung, dass die Klausel doch wirksam ist, geht die Sache zurück an das OLG, das nun die Argumente beider Seiten sowie die vorliegenden Beweise neu bewerten muss und dann ein Urteil fällt.
Stiftet die Generalklausel nach dem BGH-Urteil wirklich mehr Sinn als Streit? Immerhin kann der Versicherer nach Paragraf 81 VVG auch ohne diese Klausel seine Leistung kürzen, wenn der Kunde durch mangelnde Betriebssicherheit einen Schaden grob fahrlässig verursacht.
Wilhelm: Eigentlich bräuchte es keine Generalklausel, das sehen wir auch so. Denn der Versicherer hat auch ohne diese Klausel das gesetzliche Recht, die Leistung zu kürzen, wenn der Kunde einen Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt, beispielsweise, indem er eine Sicherheitsvorschrift nicht beachtet. Dafür braucht es keine zusätzliche Regelung.
Was raten Sie Versicherungsmaklern vor diesem neuen rechtlichen Hintergrund in der Beratung mit Firmenkunden?
Wilhelm: In den meisten Fällen wird es kaum gelingen, die Generalklausel aus den Verträgen streichen zu lassen. Individuelle Konkretisierungen können hier ein Kompromiss sein. Letztlich wird aber die Hauptaufgabe der Vermittler sein, ihre Kunden auf die Tragweite der Klausel und die Bedeutung der allgemeinen Schadenverhütung eindringlich hinzuweisen. Ein Brandschaden, der wegen einer Nachlässigkeit nur zur Hälfte vom Versicherer reguliert wird, führt schnell zur Insolvenz des Versicherungsnehmers.
Vielen Dank für das Gespräch. (dpo)