Rente: Was die Haltelinie kostet und wie sie wirkt
Die neue Bundesregierung will das Rentenniveau stabilisieren. Dabei soll die schon von der Ampel-Koalition angedachte 48-Prozent-Haltelinie nun bis 2031 verlängert werden. Die Kosten und die Folgen beleuchtet eine neue Studie.
Der "Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur vollständigen Gleichstellung der Kindererziehungszeiten" sieht vor, dass das Niveau in der gesetzlichen Rente bis 2031 bei mindestens 48 Prozent (netto vor Steuern) bleiben soll. Diese sogenannte Haltelinie gilt derzeit nur bis Ende 2025. Der Referentenentwurf ist aktuell in der Ressortabstimmung. Die geplante Anhebung des Sicherungsniveaus muss natürlich gegenfinanziert werden – entweder durch höhere Beiträge oder mit noch mehr Steuermitteln.
Damit könnte die Haltelinie zu einer starken finanziellen Belastung werden, zeigt eine Studie von Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft und Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum, im Auftrag von Fidelity International, die am Mittwoch (2.7.) vorgestellt wurde. Das Ergebnis: Es ist mit erheblichen Mehrkosten für den Bundeshaushalt zu rechnen – und mit Benachteiligungen insbesondere für Jüngere, die durch Beitragssteigerungen weniger in ihre private Vorsorge investieren könnten.
Staatszuschuss steigt bis 2040 auf mindestens 198 Milliarden Euro
Werding untersucht verschiedene Varianten der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Steuerfinanzierung. Selbst in der günstigsten Version steigen die Bundesmittel für die gesetzliche Rentenversicherung demnach von aktuell rund 142 Milliarden Euro bis 2040 auf rund 198 Milliarden Euro und bis 2060 sogar auf knapp 270 Milliarden Euro an (alle Angaben in heutigen Preisen). In der teuersten Variante würden die Bundesmittel bis 2040 auf 233 Milliarden Euro und bis 2060 auf knapp 353 Milliarden Euro ansteigen. Dies entspräche fast sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich: Der komplette Bundeshaushalt entsprach in den Vor-Krisen-Jahren 2010 bis 2019 im Schnitt rund zehn Prozent des BIP.
"Die Mehrausgaben aufgrund der Haltelinie sind eine enorme Belastung für die Bundesfinanzen", so Werding. Damit die Rechnung aufgeht, müsste der Staat entweder erhebliche zusätzliche Steuereinnahmen generieren oder er müsste bei anderen Haushaltsposten massiv einsparen – etwa bei der Verteidigung oder im Bereich Soziales.
Für Jüngere als 48 wird es teurer
Alternativ könnte die Regierung eine Finanzierung der Haltelinie durch stärker steigende Beiträge wählen, wie dies in der vorherigen Legislaturperiode vorgesehen war. Besonders betroffen wären Versicherte unter 48 Jahren, am meisten die heute 20- bis 30-Jährigen. Ältere Jahrgänge würden von der Haltelinie profitieren, weil sie höhere Renten bekämen, ohne dafür vorab lange Zeit höhere Beiträge zahlen zu müssen. Jüngere hingegen hätten aufgrund höherer Beiträge und einer steigenden Steuerbelastung weniger Mittel zur Verfügung, um privat vorzusorgen.
Die Studie stellt die gesetzliche Rente mit Haltelinie einer Kombination aus gesetzlicher Rente ohne Haltelinie und ergänzender kapitalgedeckter Vorsorge gegenüber. Dabei wird unterstellt, dass ein Teil der beim Model ohne Haltelinie eingesparten Beiträge für Einzahlungen in eine ergänzende Kapitaldeckung genutzt werden: in der Spitze rund zwei Prozent der Differenz bis 2027, danach weiter steigend. Das Resultat: Bereits bei konservativen Renditeannahmen (Nominalrendite von vier Prozent pro Jahr) würden Jüngere mit ergänzender kapitalgedeckter Vorsorge langfristig Renten erzielen, die monatlich mindestens 200 Euro höher lägen. Bei einer chancenorientierten Anlage (Nominalrendite von acht Prozent pro Jahr) wären es pro Monat sogar über 600 Euro mehr.
Generationengerechtigkeit gefährdet
Als Weg dorthin empfiehlt Werding ein Auto-Enrolment, also die automatische Teilnahme an der privaten oder betrieblichen Vorsorge, es sei denn, man widerspricht (Opt-out). "Mit privaten Vorsorgekonten sind in auf diesem Wege zum Beispiel in Schweden und Großbritannien die Teilnahmequoten erheblich gestiegen", sagte Susanna Wooders, .
"Deutschland braucht mehr Mut zur Veränderung in der Altersvorsorge", fasst Leiterin des Deutschlandgeschäfts von Fidelity International das Ergebnis der Studie zusammen. Die Haltelinie gefährde den Wohlstand der nächsten Generation. Es bräuchte stattdessen "mehr Anreize, eigenverantwortlich vorzusorgen und langfristig Vermögen aufzubauen – etwa über Altersvorsorgekonten.“ Prinzipiell kämen sowohl der 20-jährige Friseur wie auch die 30-jährige Versicherungskauffrau und der 40-jährige Geschäftsführer – Fallbeispiele in der Studie – auf höhere Renten, würde die Haltelinie entfallen und stattdessen zusätzlich kapitalgedeckt vorgesorgt.
Ausweitung der Mütterrente kostet jährlich fünf Milliarden Euro
Kürzlich hatte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund darauf verwiesen, dass die Beiträge der Versicherten mit 77 Prozent die größte Position bei den Einnahmen sind, aber für versicherungsfremde Leistungen immer mehr Bundesmittel nötig seien, künftig auch für die geplante Mütterrente III. "Die Ausweitung der Mütterrente kostet fünf Milliarden Euro pro Jahr, aber zur Finanzierung steht nichts im Sondierungspapier", hatte Gundula Roßbach, Präsidentin der DRV Bund gewarnt. "Würde die Finanzierung allein der Rentenkasse aufgebürdet, würden wir schon 2027 bei einem Beitragssatz von über 19 Prozent landen", sagte sie.
Alternativ würden allein für die Mütterente III und das Aussetzen des Nachhaltigkeitsfaktors bis 2031 zusätzlich pauschal fünf Milliarden Euro pro Jahr an Bundeszuschüssen für die Rentenkasse fällig. Würde zudem durch Ausschaltung des Nachhaltigkeitsfaktors in die gesetzliche Rentenformel eingegriffen, müssten die Beitragszahler mehr berappen und Rentner kleinere Rentenerhöhungen hinnehmen als gewohnt. (dpo)