Die Ereignisse der letzten zweieinhalb Monate zeigten Gastronomen, Händlern und Hoteliers, dass die meisten Versicherer den vereinbarten Versicherungsschutz bei Betriebsschließungen (BSV) nicht für den Fall von Pandemien angewendet wissen wollten. Auch namhafte Anbieter wie Allianz, Axa, Generali und R+V hätten am liebsten überhaupt nichts gezahlt.

Zwei Haupt-Streitpunkte ragen heraus: In den meisten Fällen ist zum einen vereinbart, dass die zuständige Behörde den Betrieb geschlossen haben muss, damit der Versicherer zahlt. Die meisten Versicherer stellen sich auf den Standpunkt, dass sich die behördliche Anordnung nicht an das gesamtwirtschaftliche Geschäftstreiben, sondern an das unmittelbar betroffene Unternehmen zu richten hat. In den AVB wird Covid-19 zum anderen als ganz neue Erkrankung nicht aufgelistet. Einige Versicherer nehmen das zum Anlass, die Deckung abzulehnen. Doch die Bedingungen nehmen zumeist gleich an mehreren Stellen Bezug auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) und bringen so zum Ausdruck, dass die dort aufgelisteten Krankheiten maßgeblich sein sollen.

Auf Druck der Dehoga-Betriebe vor allem in Süddeutschland unterschrieben zunächst drei Versicherer einen Kompromiss: Die Versicherungskammer Bayern, die Allianz und Die Haftpflichtkasse zahlen "freiwillig" zwischen zehn und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze. Das sei ungefähr die Hälfte der Einbußen, die durch staatliche Unterstützung wie Kurzarbeitergeld und Soforthilfen aus Bund und Ländern nicht gedeckt sei (FONDS professionell ONLINE berichtete).

Immer mehr Fragezeichen
Mehrere Gesellschaften sind dem bayerischen Kompromiss inzwischen beigetreten, darunter R+V, Zurich, Axa, Nürnberger und Mannheimer. Die meisten wollen nicht nur Betriebe im Freistaat auf diese Weise entlasten, sondern bundesweit. Andere Versicherer halten sich jedoch immer noch bedeckt beziehungsweise bleiben bei ihrer weitgehenden Ablehnung des Versicherungsschutzes. Einige Anbieter stehen zu ihrer Verantwortung und zahlen bei Vorliegen einer BSV den schließungsbedingten Ausfall vollumfänglich, darunter Barmenia, Münchener Verein, Signal Iduna und HDI (FONDS professionell ONLINE berichtete).

Unterm Strich käme die Assekuranz wohl sehr viel billiger davon, wenn Betroffene sich auf das "freiwllige Angebot" einlassen, statt zu klagen. Inzwischen wackelt der Kompromiss aber immer mehr, denn zu klar scheint die Leistungspflicht mehrerer Versicherer in deren AVB zu sein (FONDS professionell ONLINE berichtete).

VKB-Vertriebsinformation deutet auf Leistungspflicht hin
Nun gerät auch die Versicherungskammer Bayern (VKB), also eine der Initiatorinnen der bayerischen "Friedenslösung", in den Fokus der Kritik. Stein des Anstoßes ist eine "Vertriebsinformation Gewerbe" der VKB vom 4. März 2020, also rund zwei Wochen vor Beginn der bundesweiten "Lockdown"-Welle. Darin heißt es: "Wir stellen das Coronavirus den in unseren Bedingungen für die gewerbliche Betriebsschließungsversicherung (AVB BS 2002 -Teil B Nr. 2 Anlage 075) namentlich genannten Krankheitserregern gleich... Somit sind behördlich angeordnete Betriebsschließungen aufgrund des neuartigen Coronavirus in unserer gewerblichen Betriebsschließungsversicherung mitversichert."

Nach dieser Logik müsste die VKB eigentlich zu 100 Prozent (abzüglich staatlicher Hilfen) zahlen statt nur 15 Prozent wie generell im Kompromiss angeboten. Für Stephan Michaelis, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Inhaber der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte, ist die Sache eindeutig: "Die VKB hat aufgrund dieses Schreibens die getätigten Zusagen einzuhalten und die versicherungsvertraglichen Leistungen vollständig zu erbringen, selbst wenn es in den AVB vielleicht anders formuliert sein sollte."

Schwintowski: Vergleich nach bayerischer Lösung unwirksam
Wer bereits einen Vergleich mit der VKB geschlossen habe, könne den revidieren, "da die Vertriebsinformation eine eindeutig gegenteilige Aussage beinhaltet", so Michaelis weiter. Diese Meinung vertritt auch Rechtsprofessor Hans-Peter Schwintowski von der Humboldt-Universität zu Berlin: "Bereits getroffene Vergleiche sind nach Paragraf 779 Absatz 1 BGB unwirksam." Grund: Es bestand durch die Vertriebsinformation überhaupt keine Ungewissheit über den Leistungsumfang der BSV bei der VKB. Diese müsse laut Schwintowski demnach also die volle Leistung (abzüglich staatlicher Hilfen) zahlen.

Die VKB sieht dies auf Nachfrage von FONDS professionell ONLINE naturgemäß anders: "Die Gleichstellung des Coronavirus alleine löst selbstverständlich noch nicht den Versicherungsschutz aus. So sind vor allem das Vorliegen eines konkreten Corona-Falles im Betrieb und eine behördliche Schließung aufgrund dieses Falles erforderlich." Auf eine generalpräventive, flächendeckende Schließung von Betrieben sei die BSV nicht anwendbar, so die VKB.

VKB-Bedingungen deuten auf Leistungspflicht hin
Diese Einschätzung überrascht. Die genannten AVB, die die Versicherungskammer trotz Anfrage aus "geschäftspolitischen und Wettbewerbsgründen" nicht herausgeben wollte, besagen etwas anderes: Gezahlt werden soll, wenn "die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb … zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt" (Teil B Paragraf 1 Satz 1a). An keiner Stelle steht in den Bedingungen, dass im konkreten Betrieb meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger aufgetreten oder nachgewiesen sein müssen. Im Gegenteil: Die Liste der Ausschlüsse (Paragraf 3) ist abschließend, ohne Pandemien oder Epidemien zu erwähnen.

"Wenn sich Versicherer vor solchen Ereignissen schützen wollen, müssten sie das auch so deutlich in die AVB reinschreiben, dass es ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer versteht", sagt Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführer des Maklerverbandes BDVM. Genau dies haben die Anbieter aber versäumt und wollen das Risiko nun offenbar auf die Kunden abwälzen.

Das dürfte die Gerichte nicht überzeugen. "In den meisten Fällen ist vereinbart, dass die zuständige Behörde den Betrieb geschlossen haben muss, damit der Versicherer zahlt", erklärt Tobias Strübing, Partner der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte, gegenüber FONDS professionell. "In den meisten AVB steht nicht, dass die behördliche Anordnung sich unmittelbar an das betroffene Unternehmen richten muss", so der Fachanwalt für Versicherungsrecht weiter. Daher bleibe es bei seiner dringenden Empfehlung, "Ablehnungen und Abfindungsangebote nicht ungeprüft hinzunehmen". (dpo)