FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2019

Foto: © Tim Flavor I n seinem 2018 erschienenen jüngsten Buch mit dem Titel „Das Märchen vom reichen Land“, das nach wie vor auf der Bestsellerliste für Wirtschafts- bücher steht, vertritt Daniel Stelter die These, dass Deutschland bei Weitem kein so reiches Land ist, wie Medien und Po- litik immer behaupten. Der für seine scharfsinnigen Analysen bekannte Öko- nom ist vielmehr davon überzeugt, dass Deutschland sich in Wirklichkeit in einer Wohlstandsillusion befindet – und kann diese These auch mit nachvollziehbaren Zahlen unterlegen. Seine Prognose: Wenn wir weitermachen wie bisher, droht der volkswirtschaftliche Kollaps. Aber Stelter zeigt auch Wege auf, wie wir einemAlp- traumszenario entgehen können. Herr Stelter, nach der Lektüre Ihres jüngsten Buchs bekommt man den Ein- druck, dass Deutschland trotz Boom am Arbeitsmarkt und beim Export kurz da- vor ist, bald wieder zum „kranken Mann“ Europas zu werden. Steht es so schlimm? Daniel Stelter: Den Begriff „kranker Mann“ werden Sie nirgendwo im Buch finden. Aber wenn man genau hinsieht, dann ist Deutsch- land bei Weitem nicht so reich, wie immer ge- tan wird. Das ist im Übrigen kein Wider- spruch zu der Tatsache, dass man nach wie vor von einem Exportboom und annähernder Vollbeschäftigung sprechen kann. Nur ist eben beides einer Reihe von Sonderfaktoren zu ver- danken, die erstens nicht auf eigener Leistung basieren und zweitens nicht nachhaltig sind. Ein Grund dafür sind extrem niedrige Zinsen, die den Nachfrageboom aus demAusland re- gelrecht befeuert haben. Dabei hat ein Export- land wie Deutschland natürlich zusätzlich vom schwachen Euro profitiert. Auf der an- deren Seite stehen wir in Deutschland vor ei- ner Vielzahl grundsätzlicher Probleme, die wir nicht gelöst haben. Was meinen Sie konkret? Da ist zum einen die Eurokrise, die noch nicht einmal imAnsatz gelöst ist, da darf man sich nichts vormachen. Die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre hat zwar dazu beige- tragen, dass die preisliche Wettbewerbsfähig- keit unserer Exportindustrie weiter gestiegen ist. Damit haben sich aber nicht nur die Un- gleichgewichte innerhalb der Eurozone ver- stärkt, auch die Verschuldung der ausländi- schen Kunden unserer Exportindustrie ist wei- ter gestiegen und liegt praktisch überall ober- halb des Niveaus von 2008. Das hat unser Land zunehmend unbeliebt gemacht. Nicht zu vernachlässigen ist zudem die Tatsache, dass unser Exporterfolg auf Industrien basiert, die wir schon seit dem Kaiserreich betreiben. Die- se stehen vor einem enormen Wandel – Stich- wort Elektroautos –, von dem noch lange nicht ausgemacht ist, dass unsere Unterneh- men diesen bewältigen, geschweige denn da- von profitieren. Und schließlich kommt eine demografische Entwicklung hinzu, für deren Auswirkungen wir nicht wirklich vorgesorgt haben. Kommt es vor diesem Hintergrund zu einer Abschwächung der Weltkonjunktur, wie sie sich zuletzt angedeutet hat, so würde das den Exportweltmeister überproportional tref- fen. So wie wir von der guten Konjunktur profitiert haben, werden wir die Haupt- leidtragenden eines Abschwungs sein. Da kann man schon auf die Idee kommen, dass wir Deutschen in Wahrheit zu den Ärmeren in der EU gehören. So ähnlich haben Sie ein eigenes Kapitel in Ihrem Buch überschrieben, in dem Sie über den Unterschied zwi- schen Einkommen und Vermögen schreiben. Was läuft da schief? In der immer wieder aufflammenden Dis- kussion um ein Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland ist die Standardantwort der Politik eine Reichen- steuer, die aber nichts anderes ist als eine Steuererhöhung auf hohe Einkommen. Poli- tiker scheinen den Unterschied zwischen Ein- kommen und Vermögen nicht wirklich zu rea- lisieren. Was die Einkommen betrifft, steht Deutschland durchaus sehr gut da im Ver- gleich zu anderen Ländern in der Welt. Bezo- gen auf das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegen wir auf Platz 20. Aber es ist auch nicht so, dass wir deutlich vor unseren Nachbarn in Frankreich liegen würden, und auch der Ab- stand zu Italien und Spanien ist nicht sensa- tionell groß. In Bezug auf das Vermögen sieht es vollkommen anders aus. Was bekanntermaßen daran liegt, dass deutsche Privatanleger immer noch in erster Linie auf Sparbuch und Lebens- versicherung setzen. Ganz genau. Das führt am Ende zu dem ver- meintlichen Paradoxon, dass wir zwar mehr verdienen als die Franzosen und Italiener, im Schnitt aber über ein deutlich geringeres Ver- mögen verfügen. Schuld ist nicht nur eine zu hohe Abgabenlast, durch die die Menschen nur sehr viel weniger Vermögen bilden kön- nen, sie legen ihr Geld auch falsch an. Statt auf die in Ihrer Frage genannten Sparformen setzen Anleger in unseren Nachbarländern „Wer gut verdient, der ist » Wir verdienen zwar gut, geben das Geld aber auf staatlicher Seite falsch aus und legen es auf privater Seite falsch an. « Daniel Stelter, Beyond The Obvious Daniel Stelter , Gründer des auf makroökonomische Analysen spezialisierten Forums „Beyond The Obvious“, zählt zu den hierzulande einflussreichsten Ökonomen. Mit unverstelltem Blick widmet sich der scharfzüngige Stratege den drängenden wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. markt & strategie I daniel stelter | beyond the obvious 114 www.fondsprofessionell.de | 2/2019

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