FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2019

Foto: © Andreas Edelmann | stock.adobe.com S ei es die Zwölftonmusik, die der Wiener Komponist Arnold Schönberg begründet hat, oder der Schiefe Turm von Pisa: Manche Dinge sind schräg – das ist gut, und deshalb dürfen sie schief bleiben. Vorschriften für die Anlageberatung hingegen sollten nicht schräg ausfal- len, sondern geradlinig, klar und ein- fach. Nur so können sie Transparenz für die Anleger schaffen, den Ver- braucherschutz stärken und denAuf- wand der Berater verringern. Solche Ziele hatte sich der euro- päische Gesetzgeber auch auf die Fahnen geschrieben, als er die EU- Finanzmarktrichtlinie Mifid II ver- abschiedete. Doch nicht einmal an- derthalb Jahre nach ihrem Inkrafttre- ten am 3. Januar 2018 kommt eine Auswirkungsstudie zu dem ernüch- ternden Schluss, dass die Sache gründlich missglückt ist. Überfor- derte Kunden, gestresste Finanzpro- fis, Kosten von insgesamt sechs Milliarden Euro bei den deutschen Kreditinstituten – und die Befürch- tung, dass das Angebot an Anlage- beratung deutlich zurückgehen könnte: Das sind die ernüchternden Ergebnisse der Untersuchung, die die Ruhr-Universität Bochum er- stellt hat. Auch Branchenverbände erkennen in den Vorgaben von Mifid II zum Teil erheb- liche Probleme. Eine Antwort auf die Frage, ob, wann und inwieweit nachgebessert wird, kann bisher aber niemand geben. Übers Ziel hinausgeschossen „Mit Mifid II ist der europäische Gesetz- geber deutlich übers Ziel hinausgeschossen“, kommentiert Andreas Krautscheid, Haupt- geschäftsführer des Bundesverbandes deut- scher Banken (BdB), die Ergebnisse der Stu- die. Für die Untersuchung hatte die Ruhr-Uni- versität imAuftrag des Dachverbandes Deut- sche Kreditwirtschaft (DK) im Spätherbst 2018 eine Umfrage unter rund 3.000 Kunden und über 150 Banken und Sparkassen ange- stoßen. Die Ergebnisse zeigen klar, dass Bankkunden und Berater gleichermaßen un- zufrieden mit den neuen Vorschriften sind. So halten etwa fast 70 Prozent der befrag- ten Bankkunden den Aufwand, der für eine Wertpapiertransaktion anfällt, für nicht oder eher nicht angemessen (siehe Grafiken nächs- te Seite). Rund 60 Prozent erklären, Bera- tungsgespräche dauerten länger als vor dem Inkrafttreten des europäischen Regelwerks. Je- der dritte Kunde fühlt sich durch die Flut von Informationen über Geeignetheit, Risiken und Kosten empfohlener Anlageprodukte völlig überfordert. Gut 46 Prozent würden auf diese Informationen gern verzichten, was aber nicht geht. Zudem werden die Beratung als weniger persönlich und die erhöhte Standardisierung als nicht hilfreich empfunden. Und das sind nur einige Resultate der ausführlichen Studie. „Einem sehr überschaubaren Mehrwert für die Kunden stehen immense Kosten für die deutschen Banken und Sparkassen gegenüber“, sagt Krautscheid. Immerhin hat die Analyse ergeben, dass im Schnitt pro Institut rund 3,7 Millionen Euro nötig waren, um die europäischen Regulierungsvorgaben aus Mifid II sowie aus der Verordnung über ver- packte Anlageprodukte (Priip-Ver- ordnung) umzusetzen. Hochgerech- net auf die rund 1.600 deutschen Institute liegen die Gesamtkosten bei bis zu sechs Milliarden Euro. „Geld, das die Banken und Sparkassen für Zukunftsinvestitionen viel nutzbrin- gender hätten verwenden können“, findet Krautscheid. Alptraum Mifid II Und nicht nur auf Seiten der Anleger macht die Studie der Ruhr- Universität Unzufriedenheit aus. „Mifid II ist auch für Banken und Berater ein Alptraum“, sagt der BdB-Hauptgeschäftsführer. In der Tat bemängeln gut zwei Drittel der befragten Finanzprofis, dass Bera- tungsgespräche und die anschließen- de Bearbeitung mehr Zeit erfordern als früher (siehe Grafiken nächste Seite). Auf die Frage, ob sich der Verwal- tungsaufwand erhöht hat, antworten über 93 Prozent mit „trifft zu“ oder „trifft eher zu“. 45 Prozent finden, dass sie jetzt nicht mehr so individuell beraten können wie früher. Gut 60 Prozent sind überzeugt oder denken, dass Beratungsleistungen unter Mifid II stär- ker austauschbar sind. Vor allem fühlen sich knapp 40 Prozent der Befragten zunehmend verunsichert. Fast 53 Prozent haben Angst, formale Fehler zu machen und schlecht zu beraten. Das ist umso ungünstiger, als Anleger wegen der Flut an Informationen die Unter- stützung ihres Kundenbetreuers dringender brauchen als je zuvor. Auch das ist ein Ergeb- nis der Auswirkungsstudie. „Mifid II ist ein Schuss in den Ofen und hat demAnlegerschutz sowie der Wertpapierkul- Eine umfassende Auswirkungsstudie stellt der EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II ein extrem schlechtes Zeugnis aus. Und niemand kann beantworten, ob Nachhilfe in Sicht ist. Ziemlich schräge Sache Der Schiefe Turm von Pisa wird nie aufgerichtet, sonst wäre er nichts Besonderes mehr. Schräge Mifid-II-Vorschriften hingegen sollten geradegezogen werden. 334 www.fondsprofessionell.de | 2/2019 bank & fonds I mifid II

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