FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2020

rung übersandt wurde. Ob eine solche Be- lehrung, so vorhanden, aber als fehlerhaft einzustufen ist, lässt sich nicht so leicht fest- zustellen. „Ein Laie kann unmöglich beur- teilen, ob eine Rückabwicklung Aussicht auf Erfolg hat“, so Schwintowski. Daher müssen versierte Fachanwälte ans Werk. Wer keine Rechtsschutzversicherung hat, kann sich von einem Prozessfinanzierer unterstützen lassen. Große Unternehmen dieser Branche, etwa Foris oder Roland Prozessfinanz, sind seit vielen Jahren im Markt etabliert. In jüngster Vergangenheit kommen aber auch immer mehr kleinere Prozessfinanzierer hinzu. Der Vorteil: Die Großen gehen oft erst ab einem Streitwert von 100.000 Euro in Vorleistung, kleine Fi- nanzierer springen schon bei geringeren Summen ein. Die Münchner Lawtechgroup etwa wird ab einem errechneten Anspruch von 10.000 Euro aktiv. „Wir kooperieren mit einem Netzwerk von spezialisierten An- waltskanzleien“, sagt Günther Kappestein, Leiter Vertrieb institutionelle Kunden. Eine Partnerkanzlei prüft zunächst, ob die recht- lichen Voraussetzungen für den Widerruf einer Police gegeben sind. Die Lawtech-Ex- perten selbst checken über eine spezielle Datenbank zudem die Erfolgsaussichten einer Rückabwicklung, und sie errechnen den Mehrwertanspruch des Kunden. Auch für ausbezahlte Verträge „Der Mehrwert ist die Summe, die den aktuellen Rückkaufswert übersteigt“, erklärt Experte Schwintowski. Ebenso kann sich der Mehrwert auf den Betrag belaufen, der über die bereits ausbezahlte Versicherungs- summe hinausgeht. „Denn Rückabwick- lungen kommen auch für schon abgelau- fene Verträge in Betracht“, so Schwintowski. Sind die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die Erfolgsaussichten und der Mehr- wert ermittelt, versucht bei Lawtech ein Partneranwalt eine außergerichtliche Eini- gung mit dem Versicherer zu erreichen. Kommt diese nicht zustande, geht es vor » Ein Laie kann unmöglich beurteilen, ob eine Rückabwicklung Aussicht auf Erfolg hat. « Hans-Peter Schwintowski, Humboldt-Universität zu Berlin Rückabwicklung von Lebenspolicen: Die rechtlichen Grundlage Die unter bestimmten Voraussetzungen mögliche Rückabwicklung von Lebensversicherungen basiert auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie auf zahlreichen darauffolgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH). FONDS professionell erklärt die Rechtslage. Das „Endress-Urteil“: Das sogenannte En- dress-Urteil ist eine Entscheidung des EuGH vom 19. Dezember 2013 (Az.: C-209/12). In dem vom BGH vorgelegten Fall ging es um den Kläger Walter Endress. Dieser hatte bei der Allianz eine Lebensversicherung abgeschlossen und war über sein Widerrufsrecht nicht ordnungs- gemäß belehrt worden. Dabei handelte es sich um Belehrungen, die nach Paragraf 5a des alten Ver- sicherungsvertragsgesetzes (VVG a. F.) geschuldet waren. Das alte VVG war vom 21. Juli 1994 bis 31. Dezember 2007 in Kraft. In seinem Grundsatz- urteil entschied der EuGH: Versicherungsnehmern, die unter der Geltung des Paragrafen 5a VVG a. F. eine Lebens- oder Rentenpolice abgeschlossen haben und über ihr Widerrufsrecht nicht oder nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sind, steht ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu. Weitere Grundsatzurteile: Dem Endress- Urteil folgte eine Vielzahl von BGH-Entschei- dungen, in denen die Richter die Modalitäten der Rückabwicklung von Lebenspolicen aus dem Geltungszeitraum des Paragrafen 5a VVG a. F. konkretisierten. Wesentlich sind vier Grundsatzurteile. BGH-Urteil vom Mai 2014: Der BGH stellte klar, dass Inhaber von Lebenspolicen aus der betref- fenden Zeit bei nachweislich nicht ordnungsge- mäßer Widerrufsbelehrung auch dann noch ein Rücktrittsrecht haben, wenn die Verträge bereits ausgelaufen oder gekündigt worden sind (Az. IV ZR 76/11). In diesem Fall sind den Versicherungs- nehmern alle gezahlten Beiträge abzüglich der Risikokostenanteile zu erstatten. Entscheidungen von 2015: Die BGH-Richter ka- men in zwei weiteren Grundsatzurteilen zu dem Schluss, dass Versicherer betroffenen Kunden die Abschluss- und Verwaltungsgebühren vollständig zurückzahlen müssen (Az. IV ZR 384/14 und Az. IV ZR 448/14). Das vierte Grundsatzurteil fällte der BGH im November 2015 (Az. IV ZR 513/14). Es besagt, dass Kunden die sogenannten „tatsächlich gezogenen Nutzungen“ zu erstatten sind, also sämtliche Zinsen, die der Versicherer mit den ein- gezahlten Prämien erwirtschaftet hat. Dafür sind die Beiträge zuvor um die Abschlusskosten sowie um die Risikokostenanteile zu kürzen, nicht aber um die Verwaltungsgebühren. Nachweispflicht: Die auszuzahlenden Nutzungs- zinsen müssen basierend auf den monatlichen Nettorenditen des Versicherers errechnet werden. Dabei hat der Versicherungsnehmer nachzuweisen, welche Nettorenditen das Unternehmen tatsäch- lich erzielt hat (BGH Az. Az. IV ZR 513/14). In der Praxis ist das sehr schwierig. fondsprofessionell.de 4/2020 243

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