FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2020

wenn man es mit Freunden zusammen an- schaut“, berichtet die 15-jährige Schülerin Charlotte Weber aus Hilden. „Man kann davon unglaublich abhängig und süchtig werden.“ Dass Schüler viel Zeit mit der App verbringen, verwundert nicht, denn soziale Medien gehören mittlerweile zum Alltag der jungen Generation. Laut Schät- zungen der Digitalexperten des Blogs „Pay- ment und Banking“ sind rund 98 Prozent der 14- bis 19-Jährigen und rund 99 Pro- zent der 20- bis 29-Jährigen in sozialen Netzwerken aktiv. Neben dem Zeitvertreib gibt es bei Tik- tokmitunter jedoch auch Nützliches zu ent- decken. „Herr Anwalt“, ein Jurist aus Unna, veröffentlicht dort kurze juristische Erklär- videos, die mittlerweile zwei Millionen Fol- lower anlocken. Trotz des derzeitigen Hypes um die App sieht die Schülerin aber auch Gefahren. „Es gibt sehr viel ‚Hate‘ in man- chen Videos. Und Rassismus und Frauen- feindlichkeit ist ebenfalls auf Tiktok vor- handen, wie natürlich auf anderen Social- Media-Seiten auch“, so die Gymnasiastin. Verrückt Bei den Kreditinstituten gilt hierzulande die Volksbank Mittelhessen, die eine Bi- lanzsumme von gut acht Milliarden Euro ausweist und über 1.200 Mitarbeiter be- schäftigt, als Vorreiterin in Sachen Tiktok. Sie ist seit Juni 2020 mit dem Account @vbmittelhessen auf dem Portal aktiv. „Je verrückter, desto besser“ lautet das Motto der Genossenschaftsbanker. Die Videos sind entsprechend gestaltet. Sie zeigen bei- spielsweise Mitarbeiter der Bank beim gemeinsamen Rudern auf dem Boden des Büroflurs oder in einem gefakten Bera- tungsgespräch, bei dem man – mit einem Lächeln – eine Kundin auf die Schippe nimmt. In einem anderen Clip zieht ein Kollege vor laufender Kamera sein Hemd aus und zeigt seine Tattoos. Der Auftritt kommt an: In den ersten drei Monaten gewann das Institut über 17.800 Follower, Tendenz steigend. „Mit Tiktok erreichen wir überdurchschnittlich viele junge Menschen. Das gelingt uns auf keinem anderen digitalen Kanal. Über die klassischen Medien wie Hörfunk oder Print erst recht nicht“, sagt Peter Hanker, Vorstandschef der Volksbank Mittelhessen. „Tiktok ist das Medium der Generation Z und unsere große Chance, dieser inter- essanten Zielgruppe zu zeigen, dass eine regionale Genossenschaftsbank alles andere als verstaubt und altbacken ist.“ Wenig Aufwand Dabei halten sich die Kosten für den ei- genen Kanal in Grenzen. Für die instituts- eigenen Facebook- und Instagram-Seiten wird mehr Aufwand betrieben. „Es gibt ein Tiktok-Handy, das wir unseren aktiven Tiktokkern abwechselnd zur Verfügung stellen“, berichtet Hanker. „Teils werden die jungen Kolleginnen und Kollegen stun- denweise freigestellt. Meist drehen sie aber einfach nebenher, oft in ihrer Freizeit. Im Ergebnis gab es noch keine 1.000 Euro an Kosten für die Bank.“ Der quirlige Vorstandschef, der für ein Werbevideo auch mal in einem alten VW Bully durch die Lande reist, um seine Kun- den zu besuchen, lobt die Idee, die aus dem Kollegenkreis kam. „Das Feedback unserer Kunden ist zu 99 Prozent positiv“, sagt er. „Die Beiträge werden zum Teil mil- lionenfach angeklickt.Mehrere Videos sind viral gegangen. Wir sind Gesprächsthema am Campus der lokalen Hochschulen, werden sogar in der Fußgängerzone ange- sprochen.“ » Tiktoks Zielgruppe sind die Millennials und die Gen Z. « Thomas Wlazik, Tiktok Tiktok gerät zum Spielball der Weltpolitik US-Präsident Donald Trump befürchtete, dass die chinesische Regierung über die Tiktok-App an die Daten amerikanischer Staatsbürger gelangen könnte, um sie zu Spionagezwecken einzusetzen. Deshalb unterzeichnete er im August eine Verordnung, die alle Geschäfte mit Bytedance, dem Mutterkonzern von Tiktok, un- tersagt: Falls das US-Geschäft von Tiktok nicht an ein amerikanisches Unternehmen verkauft würde, sollte die App ab Mitte September in den USA nicht mehr erlaubt sein. US-Konzerne wie Microsoft, Oracle und Walmart äußerten daraufhin Interesse an der Videoplattform. Gegen den angekündigten Download-Stopp der App erwirkte Bytedance jedoch eine einstwei- lige Verfügung am Gericht von Columbia. Trumps Verordnung, die sich auf Notstandsvoll- machten bei außerordentlichen Gefahren aus dem Ausland bezog, sei nicht rechtens . Diese Vollmachten gelten ausdrücklich nicht bei der Ein- und Ausfuhr von Informationsmaterial so- wie der persönlichen Kommunikation. Das Urteil bezog sich jedoch nur auf einen möglichen Download-Stopp, also den Neu- bezug der App. Ende Oktober entschied eine Richterin in Pennsylvania, dass auch die für No- vember vorgesehenen Maßnahmen des US- Handelsministeriums nicht rechtens sind. Sonst hätte Bytedance keine Daten amerikanischer Tiktok-Nutzer mehr verarbeiten dürfen. fondsprofessionell.de 4/2020 387 FOTO: © TIKTOK

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