FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2020

Keine fristlose Kündigung bei ge- ringfügigem Wettbewerbsverstoß BGH, 10. 11. 2010, Az. VIII ZR 327/09 In diesem Fall hat der klagende Ver- treter mehr als 20 Jahren Policen für einen Versicherer vermittelt. Es war ihm vertraglich untersagt gewesen, für an- dere Versicherer tätig zu sein. Ein Verstoß gegen dieses Wettbewerbsverbot stellte einen Grund zur außerordentlichen Kün- digung dar. Der Vertreter hatte dies den- noch über mehrere Jahre getan, aber nur in wenigen Fällen und ohne die Beklagte wirtschaftlich schädigen zu wollen. Der Versicherer kündigte den Handelsvertreter- vertrag fristlos – zu Unrecht. „Das Urteil zeigt deutlich, wie wichtig eine genaue Be- trachtung des Einzelfalls ist“, kommentiert Rechtsanwalt Jens Reichow. „Sind Verstöße des Versicherungsvertreters als geringfügig zu betrachten, so kann eine außerordent- liche Kündigung trotz feststehendem Ver- stoß gegen ein Wettbewerbsverbot im Ein- zelfall unbegründet sein oder aber eine vor- herige Abmahnung erforderlich machen.“ Stornoabwehr: Versicherer muss geeignete Maßnahmen ergreifen BGH, 28. 6. 2012, Az. VII ZR 130/11 Der Fall: Nach Beendigung der Zu- sammenarbeit zwischen einem Ver- sicherer und einemHandelsvertreter kündigten Kunden zahlreiche Policen vor- zeitig. Der Versicherer forderte daraufhin die hierfür gezahlten Provisionsvorschüsse zurück, was der Vermittler verweigerte. Er verwies darauf, dass die Gesellschaft keine ausreichenden Maßnahmen zur sogenann- ten Stornoabwehr ergriffen habe.Unter an- derem waren die entsprechenden „Storno- gefahrmitteilungen“ nicht an ihn, sondern an seinen Nachfolger in der Agentur des Versicherers geschickt worden. Der BGH wies den Streit zur Klärung an die Vorin- stanzen zurück, stellt aber einige Grund- sätze zur geeigneten Stornoabwehr auf – vor allem auch für den Fall, dass der Ver- sicherer selbst tätig wird und nicht der Ver- mittler, um dessen Provisionen es geht. „Insbesondere der Einsatz von Agentur- nachfolgern ist dabei aber durchaus kri- tisch zu prüfen. Nach der Entscheidung des BGH ist es erforderlich, dass der Agen- turnachfolger auch tatsächlich konkrete Maßnahmen ergreift“, so Reichow. „Die bloße Übersendung von Stornogefahrmit- teilungen an den Nachfolger reicht hinge- gen nicht.“Damit ist laut BGH dem Provi- sionsinteresse des ausgeschiedenen Vertre- ters nicht gedient, da der neue Mann in erster Linie Neuabschlüsse tätigen möchte. Wettbewerbsklauseln können sittenwidrig sein BGH, 3. 12. 2015, Az. VII ZR 100/15 Auch dieses Urteil dreht sich um das Thema Wettbewerb. Der BGH hat Behrens zufolge mit dieser Entschei- dung deutlich gemacht, dass Wettbewerbs- regelungen und Vertragsstrafen nicht unbe- grenzt vereinbart werden dürfen. In diesem Fall war im Handelsvertretervertrag zwi- schen einem Vermittler und einem Finanz- » Die Darlegungslast gilt im Grundsatz für alle Positionen ab Vertragsbeginn. « Tim Banerjee, Banerjee & Kollegen Handelsvertreter vor dem Arbeitsgericht Nicht nur die Richter am Bundesgerichtshof und die vorhergehenden Instanzen fällen wichtige Urteile für Handelsvertreter. Das Bundesarbeits- gericht (BAG) hat ebenfalls einen für sie relevan- ten Beschluss gefasst – und klargestellt, dass auch ein freier Vermittler unter Umständen als Arbeitnehmer anzusehen ist (BAG, 20. Oktober 2009, Az. 5 AZB 30/09). Der Fall: Geklagt hatte ein selbstständiger Han- delsvertreter, der zwischen September 2007 und Juli 2008 für eine nicht näher bezeichnete Gesell- schaft „Verkaufsgeschäfte“ vermittelte. Streitpunkt war eine Provisionsnachzahlung in Höhe von 3.600,44 Euro – und die Frage, welche Gerichts- barkeit in dem Fall zuständig ist: Zivil- oder Arbeitsgerichte. Wichtig für Vermittler: Grundsätzlich sind Arbeitsgerichte für Handelsvertreter, die in aller Regel selbstständig sind, nicht zuständig. Rechtsanwalt Kai Behrens zufolge ist das Urteil aber dennoch interessant, weil das BAG feststellte, dass ausnahmsweise auch ein freier Handelsvertreter als Arbeitnehmer anzusehen ist, und zwar dann, wenn er in den letzten sechs Mo- naten des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000 Euro an Vergütung erhielt – eingerechnet Provisionen und Ersatz für im Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen. Zudem darf der Vermittler auch für kein anderes Unternehmen tätig gewesen sein. Genau das war hier der Fall: Der Vertreter hatte zwischen Februar und Juli 2008 in Summe nur 4.783,38 Euro für seine Tätigkeit bei der Gesellschaft erhalten. fondsprofessionell.de 4/2020 415

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